Auch 2011 zeitlos schön - Country-Rock lebt

Country-Rock ist laut Klischee Musik für alternde Männer mit einem Hang zur Sentimentalität, aber auch zum Schönen, Wahren und Guten der Pop-Historie.
von  dpa

Berlin - Wenn dem so ist, dann haben solche gesetzten Herren in diesem Herbst Grund zum Jubel. Für sie gibt es mindestens vier neue Alben - von sehr gut bis grandios. Und: Auch Jüngere dürfen hier ruhig zuhören.

Mit Abstand bestes Angebot im Country-Rock-Paket 2011 ist das neue Werk der JAYHAWKS. In der fünfköpfigen Originalbesetzung von 1995 legt die Band aus Minnesota mit "Mockingbird Time" einen weiteren Meilenstein ihrer verwinkelten Geschichte vor. Wichtigste Nachricht für Fans: Neben Gary Louris, der lange als alleiniger Jayhawks-Boss unterwegs war, ist sein kongenialer Kompagnon Marc Olson endlich wieder mit an Bord.

Zusammen mit Marc Perlman (Bass), Tim O'Reagan (Drums) und Karen Grotberg (Keyboards/Background-Gesang) zelebrieren Louris/Olson - eine Art Lennon/McCartney-Gespann des zeitgemäßen Folkrocks - zwölf wunderbare Lieder zwischen himmelhochjauchzender Euphorie und grüblerischer Wehmut.

Das klingt mal mehr, mal weniger nach The Byrds, Buffalo Springfield, Crosby Stills & Nash, Jackson Browne, The Beatles oder Neil Young. Und natürlich immer nach den Jayhawks, wie man sie seit den epochalen 90er-Jahre-Platten "Hollywood Town Hall" (1992) und "Tomorrow The Green Grass" (1995) liebgewonnen hat.

Zwar gelang Louris auch ohne Olson noch das fantastische Poprock-Album "Sound Of Lies" (1997), doch die perfekte Harmonie der beiden sehr unterschiedlichen Stimmen wurde von vielen Fans schmerzlich vermisst. Jetzt ist alles wieder da, als wären nicht 16, sondern höchstens zwei Jahre seit den gemeinsamen Geniestreichen vergangen.

Songs wie der strahlende Opener "Hide Your Colours", das an die goldenen Seventies erinnernde Westcoast-Juwel "Tiny Arrows" oder das locker aus dem Ärmel geschüttelte "Hey Mr. Man" gehören zu den absoluten Highlights im Jayhawks-Repertoire. Selten klang das Quintett selbstbewusster, konzentrierter und melodieseliger als in den neuen Liedern. Möge uns diese großartige Band also noch lange in Bestbesetzung erhalten bleiben.

Während die Jayhawks mit ihrer rund 25-jährigen Bandgeschichte allesamt die Vierzig längst hinter sich gelassen haben, sind DAWES aus Los Angeles vergleichsweise junge Burschen und spielen Musik, wie sie vor der eigenen Geburt Mode war. Wieder muss als Bezugspunkt Jackson Browne herhalten, der auf einem Song des Albums "Nothing Is Wrong" auch mitsingt. Hinzu kommt, dass die makellos-schöne Stimme des Dawes-Leadsängers Taylor Goldsmith der von Browne zum Verwechseln ähnelt.

Die elf sonnendurchwirkten California-Pop-Lieder mit ihren kernigen Gitarren, den fetten Orgelschüben und der warmen Vintage-Produktion sind eine herrlich naive Ode an den Country-Rock der frühen 70er. Das ist im Gegensatz zu den Jayhawks weit von jeder Eigenständigkeit entfernt. Und doch gelingen Songs wie "If I Wanted Someone", "So Well" oder "Moon In The Water" so gefühlvoll und handwerklich perfekt, dass man kleinkarierte Einwände schnell hinter sich lässt. Dawes machen Retro-Rock ohne schlechtes Gewissen, und den machen sie verdammt gut.

Bereits zu den festen Größen des "modernen" Country- und Folkrocks gehören RICHMOND FONTAINE, die Band um den auch in Deutschland recht bekannten Schriftsteller Willy Vlautin ("Motel Life", "Northline"). Das zehnte Studiowerk "The High Country" zeugt von den literarischen Ambitionen des Sängers und Gitarristen. Das knapp 50-minütige Konzeptalbum erzählt in 17 Songs, Spoken-Word-Passagen und Sound-Vignetten eine sensible Kleine-Leute-Moritat, wie man sie von Vlautins Büchern und Platten schon kennt.

Hin und wieder geht der Fluss zwischen den sehr unterschiedlichen Stücken etwas verloren, aber insgesamt funktioniert "The High Country" wie ein grobkörniger Film für die Ohren, an dessen Ende man sich traurig, aber auch etwas klüger als zuvor fühlt. Das Album reicht zwar nicht ganz an die stärksten Werke von Richmond Fontaine wie "Post To Wire" (2003) oder "Thirteen Cities" (2007) heran - eine intensive, lohnende Americana-Platte ist dies aber allemal.

Dass hervorragender Country-Rock nicht zwangsläufig aus den weiten Landschaften Nordamerika stammen muss, beweisen THE TRAVELLING BAND aus dem englischen Manchester. Das Quintett bedient sich bei den klassischen Gesangsharmonien der US-Vorbilder, außerdem sorgen gleißende Folk-Gitarren, Orgel, Geige, Banjo und Bläser für einen ziemlich authentischen, ausgesprochen prächtigen Americana-Sound.

In "Sundial", "Under The Pavement", "Hindsight" und der sphärischen Ballade "On The Rails" läuft die Travelling Band zu Höchstform auf, aber auch die anderen Songs von "Screaming Is Something" (Cooking Vinyl/Indigo) sind kaum schwächer. Das in einer umgebauten Kirche auf der Isle Of Mull (Schottland) entstandene Album ist damit ein schönes Beispiel für die zeitlose, weit über Amerika hinausreichende Bedeutung von Country-Rock.

Dass diese traditionsreiche Musik so gar nichts Reaktionäres an sich haben muss, beweisen die fünf Briten von The Travelling Band ebenso eindrucksvoll wie Richmond Fontaine, Dawes oder die Jayhawks. Ihre neuen Alben sollten also nicht nur mittelalte Rock-Fans glücklich machen.

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