Aschenbachs letzte Glut

Eine Meisterleistung: Benjamin Brittens Oper „Tod in Venedig“ nach der Novelle von Thomas Mann mit dem grandiosen Tenor Hans-Jürgen Schöpflin im Gärtnerplatztheater
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Eine Meisterleistung: Benjamin Brittens Oper „Tod in Venedig“ nach der Novelle von Thomas Mann mit dem grandiosen Tenor Hans-Jürgen Schöpflin im Gärtnerplatztheater

Eigentlich will er nur spielen. Wenn ihm Tadzio den roten Ball zuwerfen würde, wäre seine Sehnsucht gestillt. Erst spät traut sich der alternde Dichter ins abgründige Selbst hinunter. Die Hände ins Sakko gekrallt, ein Bild verklemmten Jammers, stammelt er sein Geständnis: „Ich liebe dich.“

Hans-Jürgen Schöpflin singt und spielt nicht: Er ist Gustav von Aschenbach. Zweieinhalb Stunden steht er fast ununterbrochen auf der Bühne, um den inneren Verfall eines Mannes zu verkörpern. Die Farbe seines Tenors charakterisiert perfekt einen Herrn kritischen Alters. Wie der Sänger diese anstrengende Partie bis zum lyrisch hingehauchten Todeshymnus mit nimmermüder Sensibilität und hoher musikalischer Intelligenz meistert, ist absolut einmalig.

Mehr von Kafka als von Thomas Mann

Auch dem Regisseur Immo Karaman und seinem Choreografen Fabian Posca gelang eine Meisterleistung: Ohne schwulkitschigen Körperkult erzählen sie die Geschichte nach Thomas Manns Novelle als Suche nach einer verlorenen Jugend. Tadzio, natürlich und ungezwungen schlicht getanzt von Michael Langner, einem Schüler der Heinz-Bosl-Stiftung, wirkt im hellen Anzug mit Krawatte als frühreifer Hans Castorp auf dem Zauberberg. Er ist weniger Objekt sexuellen Begehrens als Aschenbachs Wunsch-Wiedergänger, dem er im Kostüm zwanglos angenähert ist.

In Karamans Sicht wird die Novelle Thomas Manns zu einem Werk Franz Kafkas. Die vom dekorativen Fin-de-Siècle in die graugrünen Vierziger verlegte Handlung spielt mehr im Kopf Aschenbachs als in Venedig. Auf Sackkarren herumfahrende Hotelboys und andere Nebenfiguren wie der pantomimisch gedoublete Geck sorgen für eine Atmosphäre albtraumhaft-surrealer Groteske. Sie gipfelt in der Szene mit den Straßenmusikanten, die den von einer Blockade gepeinigten Poeten mit seiner Schreibmaschine konfrontieren.

Alles stimmt

Die Inszenierung wirkt bis ins letzte Detail ausgefeilt. Der hauseigene Gary Martin ist in den Bariton-Partien ein kongenialer Partner für den Gast in der Titelpartie. Auch die Counter-Rolle des Apollon (Yossemeh Adjei) und die vielen kleinen Rollen werden hervorragend gesungen. Die kristalline Musik Brittens ist beim Orchester des Gärtnerplatztheaters unter David Stahl in besten Händen. Selbst das von außen zugespielte Klavier klingt hervorragend.

„Death in Venice“ passt perfekt zu den Dimensionen des Hauses. Die im englischen Original gesungene, übertitelte Aufführung ist die beste und ernsthafteste Arbeit in der bisweilen billigen Oberflächenreizen verhafteten Ära Ulrich Peters.

Robert Braunmüller

Wieder am 23.Juni, 1., 7., 19., 24., 27., 30.Juli, Tel. 21851960

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