Architekturbiennale in Venedig: Ins Grüne oder gleich auf den Mond?

Das ist doch mal eine schöne Vision zwischen all den Dystopien und aktuellen Schreckensnachrichten: 2038 werden wir in einer wunderbaren Welt leben. Das heißt, in nur 17 Jahren gelingt uns die Rettung des Planeten. Klimakatastrophen, Umweltzerstörung, Ausbeutung - aus und vorbei. Wohnraum, Jobs - alles da. Ganz schwindelig könnte einem werden im schwer gepeinigten Venedig. Und das ausgerechnet im Deutschen Pavillon, der eher bekannt ist für tiefschürfendes Problemewälzen auf historisch kontaminiertem Terrain.
Filmischer Rundgang auf Biennale 2021
Ob diese erstaunliche Leichtigkeit davon kommt, dass das 1938 von den Nazis ins Monumentale getunte Ausstellungsgebäude zur 17. Architekturbiennale komplett leer geblieben ist? Lediglich ein paar QR-Codes zieren die Wände, wer etwas sehen will, muss sich schon ins Internet begeben, wo Billie und Vincent warten. Die beiden sind im (jetzigen) Biennale-Jahr geboren und haben sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz just in unsere Gegenwart zurückgebeamt. Plappernd spazieren sie im Film übers menschenleere Biennale-Gelände von 2021, und bald wird klar, dass sämtliche Krisen durch eine vernünftige Politik auf der Basis von Gemeinschaftssinn zu überstehen sind.
Für Konkreteres klickt man sich durch Interviews, in denen Experten wie die Wachstumskritikerin Joanna Pope oder Taiwans Digitalministerin Audrey Tang zu Wort kommen. Tang setzt zum Beispiel auf das radikal demokratische, sehr dynamische "Quadratic Voting", das zu mehr Kooperation verhelfe. Das klingt so hoffnungsvoll wie das Credo des Internet-Pioniers Vinton Cerf: Künstliche Intelligenz und Menschen arbeiten in 20 Jahren perfekt zusammen und Roboter werden Freunde.
17. Architekturbiennale: Vom Kolonialismus bis zur Ausbeutung der Natur
Nur bleibt im Pavillon kaum ein Smartphone-Nutzer länger als 20 Sekunden dabei, das ist die Crux an diesem Beitrag, den sich der Architekt Arno Brandlhuber mit seinem Team ausgedacht hat. Und die Gaming- und Drohnen-Ästhetik mag man sich auf der Biennale, respektive in den Giardini, ohnehin nicht antun.
Man hat schließlich den langen Weg nach Venedig angetreten, um sich live und in Farbe inspirieren zu lassen. Vor allem aber, um zu erfahren, wie das künftige Zusammenleben- und wohnen denn nun wirklich aussehen könnte. Chefkurator Hashim Sarkis beantwortet die zentrale Frage der pandemiebedingt um ein Jahr verschobenen 17. Architekturbiennale "How will we live together?" in erster Linie mit endlosen Analysen der Gegenwart und der Fehlentwicklungen der Geschichte. Vom Kolonialismus bis zur Ausbeutung der Natur.
Es fehlen Prestige-Projekte eines Architekten-Jetsets
Da ist der libanesische Architekt, der in Harvard studiert hat und die Architekturfakultät am Massachusetts Institute of Technology leitet, durch und durch Wissenschaftler. Zahlen, Diagramme, Grundlagenforschung und viele, viele Texttafeln sind ihm wichtiger als konkrete bauliche Umsetzungen. Die interessieren aber das Gros der Besucher. Deshalb sind die Puppenstubenmodelle, die Toiletten und Klohäusl im internationalen Vergleich vor Augen führen, ein absoluter Magnet.
Auf der anderen Seite fehlen die Prestige-Projekte eines Architekten-Jetsets, der in den seltensten Fällen dazu angehalten ist, Grundprobleme zu lösen. Schon Sarkis' Vorgänger hatten mit Glamour-Bauten nichts mehr am Hut. Doch nie wurde eine Architekturbiennale so sehr von Soziologen, Historikern, Klimaforschern, Anthropologen oder Geografen bestimmt wie die aktuelle.
Das macht Sinn, längst sind die Probleme nicht mehr am Reißbrett und auf der Baustelle zu regeln. Allerdings wiederholen sich die Beiträge in ihrer Frage nach Gerechtigkeit, und Katastrophenbilder sind sowieso omnipräsent. Sie mit Fakten, Karten und viel Grafik wieder und wieder zu unterstreichen, ist ermüdend und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auf dieser nach wie vor bedeutendsten Architekturausstellung an Lösungen und Utopien mangelt.
"Ego to Eco": Menschliches Zusammenleben auf Basis der Naturprinzipien
Umso mehr stechen sinnlich erfahrbare Entwürfe heraus wie etwa die höchst filigrane "Maison Fibre": Achim Menges und Jan Knippers von der Universität Stuttgart haben eine begehbare, mehrgeschossige Installation geschaffen, die ausschließlich aus robotisch gefertigten Faser-Bauelementen besteht. So könnte entmaterialisierte Architektur der Zukunft aussehen - übrigens aus einem Werkstoff, der vor Ort aus nur ein paar Kilogramm Fasern zu produzieren wäre.
Ganz real und erfolgreich ist das Pariser Wohnprojekt "Lot 19 Residential Block". Farshid Moussavi, ehemals Mitarbeiterin von Zaha Hadid, hat im Viertel La Defense in einem elfstöckigen Gebäude 91 Sozialwohnungen mit 110 Studentenzimmern und zehn Luxus-Appartements gemischt. Die Stimmung scheint prächtig, wenn man den Interviewten Glauben schenken darf.
Wer Grün vermisst, wird im Wald aus Kiefernsetzlingen fündig. Unter dem Titel "Ego to Eco" erkundet das dänische Architekturstudio Effekt, wie menschliches Zusammenleben auf Basis der Naturprinzipien umgesetzt werden kann. Man will jedenfalls sofort einziehen.
Weniger Lust macht dagegen der Gedanke, irgendwo im Weltraum ansässig zu werden. Auch wenn das "Moon-Village" der global agierenden Amerikaner Skidmore, Owings & Merrill einigermaßen cool daherkommt. Dann doch lieber den Blauen Planeten retten und eine neue Gemeinschaft pflegen. So, wie Billie und Vincent in der Cloud des Deutschen Pavillons.
Internationale Architekturbiennale in Venedig: bis 21. November, www.labiennale.org