Apokalypse mit Fischsuppe
Der Erwerb eines Programmhefts ist hier besonders empfehlenswert. Denn darin wird der sich über zwei Kontinente erstreckende Stammbaum der Familien Law, Großbritannien, und York, Australien, präsentiert. Das Stück „Das Ende des Regens” von Andrew Bovell erzählt eine Familiensaga von tragödischen Anfängen im Jahr 1959 bis ins apokalyptische Jahr 2039, als die Welt von endlosem Regen geflutet wurde und Fische in den Meeren ausgestorben waren. Der australische Dramatiker Bovell setzt auf das endzeitliche Szenario gleich zu Beginn einen sensationellen Theatercoup: Vom Himmel fällt ein Fisch.
Ob das ein Naturereignis oder ein Wunder ist, bleibt offen, aber der Autor liebt die kräftig aufgetragene Symbolik: Eine Gabrielle und zwei Gabriels verweisen auf den Erzengel, der die Sintflut ankündigte. Die Großeltern-Generation, die ein Gesetz brach, heißt Law, und die Nachfahren namens Price zahlen den Preis dafür. Der Fisch selbst ist christliches Symbol und auch Fingerzeig auf Ausbeutung der Natur.
Dem rumänischen Regisseur Radu Afrim fiel bei seinem Deutschland-Debüt mit „Das Ende des Regens” im Cuvilliés-Theater noch mehr dazu ein: Fischsuppe, die über Generationen hinweg ausgelöffelt wird, von Vergänglichkeit kündende Fischskelette, oder Fisch im Moby-Dick-Format als bühnenfüllend surrealistisches Zeichen. Zur Symbol-Flut kommt die Citizen-Kane-Technik, mit der die 80 Jahre nicht chronologisch ineinander verschachtelt werden. Erst allmählich fügen sich Kinderschändung, ein tödlicher Autounfall und die Fähigkeit, „immer einen Weg zu finden, Dinge nicht auszusprechen”, zu Schicksalen zusammen.
Das wahre Wunder dieser Inszenierung ist, dass sie den Overkill an Bedeutungshuberei überlebt: Andrea Wenzl und Barbara Melzl sowie Katharina Schmidt und Michaela Steiger jeweils als Oma-Generation in zwei Lebensaltern, oder Tom Radisch auf der Suche nach dem Vater und Götz Schulte als sein Sohn, der ein Wunder braucht, um sich zu seiner Familie bekennen zu können, sind mit unaufdringlicher Präsenz die emotionalen Kraftzentren.
Mit der Melancholie und der geschwätzigen Sprachlosigkeit von Tschechow-Figuren schaffen sie eine hohe atmosphärische und erzählerische Dichte.
Cuvilliés-Theater, 21., 23. Dezember, 3., 4., 9., 10., 16. Januar, 20 Uhr, Tel. 21 85 19 40