Antiquiert funktioniert
Der Lehmkuhl-Chef über das Lesen der Zukunft, Feuchtgebiete und das E-Book
Immer mehr Flachsinn – und am Ende verschluckt alles das Internet. Gilt das, was für das Fernsehen gerade heiß diskutiert wird, auch für die Literatur? Die AZ sprach mit Michael Lemling, Geschäftsführer der legendären Buchhandlung Lehmkuhl.
AZ: Herr Lemling, gerade erst haben die Leser Pilgerwege abgeschritten, sind dann prompt in Feuchtgebieten versumpft. Hat Lesen nichts mehr mit Bildung zu tun?
MICHAEL LEMLING: Da bin ich Kulturoptimist: Lesen ist und bleibt eine Kulturtechnik, um zur Bildung zu gelangen. Und zur Qualität: Die „Feuchtgebiete“ sind ein irre erfolgreiches Buch, aber in zehn Jahren wird es keiner mehr erinnern können. Was ich aber schon feststelle: Der Aspekt Unterhaltung wird immer wichtiger, gerade in der Belletristik.
Wie in den Medien generell… Setzen Sie als Hochburg der Bildungsbürgerlichkeit dem etwas entgegen?
Wir arbeiten an Kooperationen mit Buchhandlungen, die einen ähnlichen Anspruch haben wie wir, die Bücherstube Felix Jud in Hamburg und die Buchhandlung Klaus Bittner in Köln. Da werden nicht gleich die Kassen klingeln, aber es soll ein Signal sein.
Lesen Frauen immer noch anders als Männer?
Frauen lesen mehr, und bei uns kaufen sie auch mehr als Männer. Aber es kommt dann doch auch auf den Einzelfall an: Die „Feuchtgebiete“ etwa werden eindeutig häufiger von Frauen gekauft. Dagegen Littells „Die Wohlgesinnten“, das ist ein Männerbuch.
Nach welchen Kriterien?
Ein Beispiel: Wenn jemand ein Buch sucht für einen Mann Mitte 30, dann ist meine Standardempfehlung Martin Suter, Schweizer Autor, der hat eine Idee für einen Plot, stellt seine Figuren rein und dann erzählt er das durch ohne lange zu fackeln.
Wie Männer halt so denken…
Da ist was dran, aber es trifft natürlich nicht auf alle zu.
Ihr Haus hat eine große Tradition bei der Präsentation von Autoren. Aber ist die Lesung im digitalen Zeitalter noch zeitgemäß?
Eine Lesung ist etwas völlig antiquiertes. Aber es funktioniert noch und macht Spaß.
Alter, analoger Spaß.
Schon, aber dafür ist Publikum da, und solange es kommt, machen wir weiter.
Wird trotzdem die Lesung mehr zum Event werden?
Daran glaube ich nicht.
Alle reden über die neuen digitalen Lesegeräte. Ist das der Untergang der Welt oder doch nur des Buchhandels?
Mit der Finanzkrise geht die Welt nicht unter, sie wird das auch mit dem E-Book nicht tun. Aber gut: Das Thema kommt wieder hoch, nachdem es ja schon mal diskutiert wurde und dann wieder verschwand. Aber jetzt sind die Geräte weiter entwickelt, ich werde mir das auf der Buchmesse mit Interesse anschauen. Ich sehe keine Bedrohung oder gar den Untergang des Abendlandes. Ich glaube immer noch nicht, dass man literarische Inhalte nur noch auf so ein Ding laden wird. Das Haptische des Buches wird nie zu ersetzen sein.
Aber im Internet geht alles schneller und direkter.
Wer eine persönliche Atmosphäre will, eine Auswahl, eine Beratung, der wird in den Buchladen kommen.
Haben Sie „das Ding“ schon mal ausprobiert?
Nein. Das ist nichts, was mir sympathisch ist. Ich schau’s mir auf der Messe an. So etwas kommt vielleicht mit der Zeit, da wird am Montag nach der Buchmesse keine Revolution ausbrechen.
Und was lesen wir nach der Messe, Frauen wie Männer?
Im Dezember erscheint „Die Liebe am Nachmittag“ von Anatol Szerb. Ein ganz wunderbares Buch.
Michael Grill
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