Angst, Rausch und Sehnsucht

„Klimt, Schiele und ihre Zeit“: Die Wiener Secession logiert mit all ihren Freizügigkeiten in der Basler Fondation Beyeler – und ein Besuch lohnt sich auch für austrophile Münchner
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„Klimt, Schiele und ihre Zeit“: Die Wiener Secession logiert mit all ihren Freizügigkeiten in der Basler Fondation Beyeler – und ein Besuch lohnt sich auch für austrophile Münchner

Die knochigen Hände formen sich wie zum Gebet. Der Kardinal im leuchtend roten Ornat kniet. Desgleichen die Nonne. Eng sind die beiden aneinander gepresst, die müden Augen furchtsam aufgerissen – verbotene Liebe. Mit dieser Provokation hatte Egon Schiele seinen ersten Auftritt in München: Die Galerie Neue Kunst Hans Goltz widmete dem jungen Maler 1913 eine Einzelausstellung, „Kardinal und Nonne“ zierten sogar den Katalog. Jetzt gehört das klerikale Liebespaar zu den Höhepunkten der „Wien-Schau“ in Basel.

Aufbruch aus dem k. u. k.-Moder

Die Secession logiert mit all ihren Freizügigkeiten in der chicen Fondation Beyeler und ist blendend in Szene gesetzt: „Wien 1900“ bringt die Abtrünnigen zusammen, denen historistischer Muff und k.u.k.-Moder ein Graus war: Gustav Klimt natürlich, Liebling des liberalen Bürgertums und Kopf der 1897 gegründeten Künstlervereinigung. Daneben Schiele, sein genialer Schüler. Dann der grimmig-expressive Oskar Kokoschka und Maler-Komponist Arnold Schönberg mit seinen eindringlichen Blick-Bildern – Kandinsky war hin und weg – oder Koloman Moser und Josef Hoffmann, die Gründer der Wiener Werkstätten.

Alle hatten sie den Aufbruch im Sinn, eine neue Freiheit der Kunst, die Verschmelzung der Gattungen, das Gesamtkunstwerk. Allerdings, das zeigt die Basler Schau besonders deutlich: auf sehr verschiedene Weise. Klimt und Schiele sind hier die deutlichsten Antipoden, diametral weist ihr Schaffen auseinander. Übrigens vieldeutig festgehalten in einem Bild Schieles, das ihn mit skeptisch-finsterem Blick neben seinem Lehrer unter einer einzigen mächtigen Mönchskutte zeigt.

Hocherotisches im Kabinett

Klimts millionenfach reproduzierte Frauen sind Prachtweiber, Femmes fatales wie die frostig-schöne „Judith“, die sich in den Haaren des Holofernes verkrallt. Erdnahe Elfen mit lockenden Fingern, oft Sirenen, die dem Betrachter fordernd ins Auge blicken, oder kesse „Goldfische“, die ihren Hintern aus dem Bild schieben. Ästhetisierte Leiber, entweder selbst zum Ornament gewunden oder sich in überbordender Dekoration verlierend. Und in allem das Gegenteil von den ausgezehrt schmerzverzerrten Körpern seines Schützlings.

Evident wird das an den hocherotischen Zeichnungen und Aquarellen im separaten Kabinett. Der Jüngere seziert sexuelle Praktik und intimste Intimitäten („Die rote Hostie“), quälend oft und bohrend, während der Ältere nie die Leichtigkeit, die Eleganz vergisst im selbstverliebten Spiel. – Unmöglich, das vor hundert Jahren in einer Galerie zu zeigen.

Weniger skandalös, dafür grad so am biederbürgerlichen Geschmack kratzend, waren die kühnen Möbel, die ein paar Schritte weiter wie eine Handvoll Diven miteinander konkurrieren: Der schubladenreiche „Zebrakasten“ von Kolo Moser oder Josef Hoffmanns fragiler „Siebenkugel“-Stuhl, der so wenig zum Platznehmen einlädt wie dessen „Sitzmaschine“.

Die über 300 Leihgaben aus Österreich (Sammlung Leopold und Albertina) und Zug geben einen Überblick, wie er selbst in Wien nur mit viel Glück und noch mehr Mühe zu haben ist. Sie vermitteln „Angst, Rausch und Sehnsucht“, wie es Hugo von Hofmannsthal durchaus treffend für diese Zeit formuliert hat. Und dafür lohnt sich ein Ausflug in die so fein geordnete Schweiz.

Christa Sigg

"Wien 1900 - Klimt, Schiele und ihre Zeit", Sammlung Beyeler, Riehen bei Basel, bis 16. Januar, Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, Information und Unterkunft über www.basel.ch; www.swiss.com

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