Angefressene Wampe
Das seltsame Konzert des Radio-Symphonieorchesters Stuttgart unter Roger Norrington
Wer bretonischen Steinbutt mit einem Bressehuhn, Schampus und Trüffel in einen Mixer wirft, bekommt trotz teuerster Bestandteile kein Essen. So aber funktionierte das schlaue Programm mit drei Werken in der Beethoven-Tonart c-moll, das Rudolf Buchbinder mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Roger Norrington auf dem Philharmonie-Podium zusammenbrachte.
Buchbinder gehört im allerbesten Sinn zur alten Schule: Ein Unprätentiöser, der im Kopfsatz der „Pathétique“-Sonate hochnervöse Kontraste entdeckt, ein ruhig-konzentriertes Adagio hinlegt und im Rondo beide Gefühlszustände vereint. Schön. Aber der romantische Zugriff des Pianisten und seine Wärme passen nicht zur vibratolosen Originalklangästhetik von Norringtons Orchester, das den Pianisten mit eng mensurierten Bläsern begleitete.
Zu schönen kammermusikalischen Momenten kam es dennoch. In Beethovens Fünfter wurden die Widersprüche dann auf die Spitze getrieben: Verdoppelte Bläser und Streicherfülle sind zwar dem Gasteig angemessen, sie machen aber auch den Klang weicher, den der Dirigent eigentlich scharf haben will. Im Gegensatz zu früher nahm der Brite die von Beethoven gewünschten und durch Metronom-Angaben überlieferten Tempi nicht rasch, sondern furtwänglerisch breit. Das Finale war kein napoleonischer Triumphmarsch mehr, sondern ein patchworkartiges Ungefähr. Oder, um kulinarisch zu bleiben: Wie ein Magerer, der mit einer Wampe herumläuft.
Robert Braunmüller
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