Andreas Dresens bewegendes Krebsdrama "Halt auf freier Strecke"
Keine Angst, aber keiner kommt raus wie er hinein- gegangen ist aus Dresens „Halt auf freier Strecke”
Am Ende braucht man eins oder mehrere Taschentücher. Nicht wegen eines Bilderrausches oder einer Gefühlsüberwältigungs-Klaviatur, sondern wegen einer Geschichte, die so echt ist, wie man es von diesem deutschen Ausnahmeregisseur Andreas Dresen („Halbe Treppe”, „Sommer vorm Balkon", „Wolke 9”) gewohnt ist.
Wie hier das Sterben eines Vaters in der Familie nach einer Gehirntumor-Diagnose erzählt wird, ist so ergreifend, dass man aus diesem Film nicht mehr hinausgeht wie man war: Ja, so hart kann der Verfall am Ende des Lebens sein. Und auch so zärtlich.
Und wenn irgendwann einmal im Verfallsprozess mit zunehmender Desorientierung, aufwallenden Wutausbrüchen und verzweifelter Resignation über den Kontrollverlust über das eigene Leben der achtjährige Sohn ganz natürlich fragt, „Du, Papa, krieg ich dann dein I-Phone?”, ist dies nicht makaber, sondern die Kunst der Natürlichkeit.
Das Milieu ist sympathisch kleinbürgerlich mit gerade gebautem Häuschen am Berliner Stadtrand, die Frau eine Heldin des Alltags, der Sohn liebevoll, die pubertierende Tochter cool, aber doch für den Vater da.
Dresen hat dazu neben seinem fantastischen Schauspiel-Ensemble (Milan Peschel, Steffi Kühnert sowie die Kinderdarsteller Talisa Lilli Lemke und Mika Nilson Seidel) einen Chefarzt (Uwe Träger) sich selbst spielen lassen sowie die begleitende Palliativ-Ärztin Petra Anwar, die die Hausbesuche macht. Aus dieser Annäherung an einen Dokumentarfilm – Dresen lässt auch improvisieren – ist dennoch etwas intimes Kunstvolles und das Gegenteil von Sprödem geworden. Jedes Bild stimmt, der Jahreszeitenwechsel untermalt die Geschichte dezent, der Film ist immer nah dran, mitten drin und dennoch nie aufdringlich.
So denkt man am Ende tief berührt: Ja, jeder stirbt für sich allein. Aber wie dieser Film jedem seine Würde lässt in der zeitweisen Überforderung, der Trauer und der berechtigten Angst, das ist so faszinierend, dass man jedem nur wünschen kann, diesen Film als Zuschauer zu riskieren. Es lohnt sich fürs ganze Leben.
Kino: City, Monopol
B&R: Andreas Dresen
(D, 110 Min.)