Amerikas Pornoindustrie: "Münchner müssen ultraliberale Sex-Freaks sein"
Der Münchner Filmemacher Jens Hoffmann hat fünf Jahre lang die amerikanische Porno-Industrie dokumentiert. Ein Gespräch über Sex, Ruhm, Geld und Alice Schwarzer.
Herr Hoffmann, für Ihre Dokumentation „9to5 Days in Porn“ haben Sie die Pornoindustrie im wahrsten Sinne hautnah erlebt.
JENS HOFFMANN: Tatsächlich haben wir insgesamt fünf Jahre an dieser Doku gearbeitet. Wir wollten die Menschen hinter der Kulisse des Porno-Business zeigen, vom Produzenten über den Agenten bis zu den Darstellern. Zeitweise wohnten wir sogar bei den Protagonisten zuhause – ich glaube wir waren näher dran am Porno-Business als irgendein Außenseiter vor uns.
Was hat Sie am Thema gereizt?
Kurioserweise hat mich jemand darauf gebracht, der nicht dem Prototypen des Pornografen entsprach: Ein Theologiestudent, der in Tschechien billige Sexfilme produzierte. Das war der erste Anknüpfungspunkt.
Nun beschäftigt sich Ihre Doku aber ausschließlich mit dem San Fernando Valley, einem Vorort von L.A., der, wie man lernt, als das Hollywood der Pornobranche gilt.
Im sogenannten Valley werden Pornos für den globalen Markt produziert. Das Business ist gigantisch, extrem professionell und mit dem deutschen Markt nicht zu vergleichen. Wir wollten direkt ins Epizentrum der Mainstream-Porno-Industrie blicken und haben uns daher auf die amerikanischen Studios konzentriert. Die dort produzierten Filme setzen mehr Geld um als die gesamte Musikindustrie. Es gibt also weltweit sehr viele Konsumenten, wobei den Konsum offiziell ja kaum jemand zugibt. Aber allein das zeigt: Pornografie ist ein gesellschaftlich höchst relevantes Thema.
Wurde Ihre Anwesenheit von den Pornodarsetllern nie als störend empfunden?
Mir wurde schnell klar, dass meine Partnerin und ich quasi unsichtbar werden mussten, um wirklich einen tiefen Einblick zu bekommen. Über ein Jahr haben wir mit Recherche verbracht und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Einige Protagonisten waren sogar begeistert, als sie hörten, dass wir aus Deutschland kommen. Die dachten: Münchner müssen ultra-liberale Sex-Freaks sein. Weil es hier eine Produktionsfirma gibt, die wirklich harte Dinge dreht, die in Amerika sogar verboten sind. Weil Deutsch nach Hardcore klingt, geben sich viele Darsteller bewusst deutsche Namen.
Und diese Darsteller sind jung und brauchen das Geld und haben deswegen Sex vor der Kamera?
Geld ist natürlich der Hauptgrund. Aber nicht nur das. Für viele ist es auch der Ruhm. Es gibt Darstellerinnen mit dem Status von Ikonen. Fame - das ist gerade in Amerika ganz wesentlich. Viele lassen sich vom schnellen Geld blenden, aber einige schaffen es auch, später ein "normales" Leben zu führen.
Ist Pornografie überhaupt noch Tabuthema?
Definitiv. Wir haben sehr viel privates Geld in dieses Projekt gesteckt, einfach weil wir mit Förderanträgen überall abgeblitzt sind. Wer Porno auf den Antrag schreibt, braucht nicht auf Fördergelder zu hoffen. Pornografie ist so gesehen noch immer ein absolutes Tabu. Dabei konsumieren laut Studien 80 Prozent aller Deutschen Pornos.
Wie reagiert das Publikum auf den Film?
Sogar bei Festivals in eher katholisch-konservativen Ländern wie Brasilien überraschend positiv. Ich will nicht moralisch werten, ich will Zuschauer zum Nachdenken anregen. Das gelingt seltsamerweise bei Frauen besser. Die gehen viel entspannter mit dem Thema um als Männer, die eher peinlich berührt sind. Manche Frauen kommen bei der anschließenden Diskussion sogar mit sex-technischen Fragen.
Empörte Feministinnen haben sich nicht gemeldet?
Bis jetzt nicht. Könnte aber noch kommen. Alice Schwarzer und die Emma-Redaktion haben schon eine DVD bestellt.
Mit welchen Gedanken betrachten Sie heute die einschlägigen Abteilungen in der Videothek?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte vor dem Film nie einen Porno geschaut. Heute kenne ich die meisten Darstellerinnen persönlich, war bei manchen Filmen sogar am Set mit dabei. Natürlich sehe ich diese Filme heute mit ganz anderen Augen.
Ist ihre Doku letztlich auch ein Hardcore-Streifen?
Seltsamerweise wirkt der Film mit den deutschen Untertiteln vulgärer als im englischen Original. Dabei ist eigentlich schon hart genug, was man sieht - oder besser gesagt: ehrlich genug.
Interview: Reinhard Keck
Start: 2.07.2009, OT: 9to5 - Days in Porn, Regie: Jens Hoffmann, Mit Otto Bauer, Belladonna, Audrey Hollander, Katja Kassin, Sasha Grey, Roxy Deville, Mark Spiegler, Jim Powers u. a., 95 Min.
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