Amelie Fried: Die Tragödie meiner Familie

Nur durch Zufall hat die Münchner TV-Moderatorin und Autorin Amelie Fried von dem Schicksal ihres Großonkels erfahren: Ihre Nachforschungen brachten eine Familientragödie aus den Zeiten von Nazi-Terror und Krieg ans Licht.
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„Das ist ein Thema, das nie vorbei ist“, sagt Amelie Fried.
dpa „Das ist ein Thema, das nie vorbei ist“, sagt Amelie Fried.

Nur durch Zufall hat die Münchner TV-Moderatorin und Autorin Amelie Fried von dem Schicksal ihres Großonkels erfahren: Ihre Nachforschungen brachten eine Familientragödie aus den Zeiten von Nazi-Terror und Krieg ans Licht.

VON TINA ANGERER

Der Anruf hat für Amelie Fried alles geändert. „Sagt dir der Name Max Fried etwas?“, fragte ihr Mann Peter Probst. „Er hat dieselben Eltern wie dein Großvater.“ Probst rief aus New York an, hatte dort im Leo-Baeck-Institut im Gedenkbuch der Münchner Juden herumgeblättert. Max Fried wurde im März 1943 von München nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Es ist Amelie Frieds Großonkel, der Bruder ihres Opas.

„Ich hatte keine Ahnung, wer das ist. Ich merkte: Ich weiß nicht mal, ob mein Großvater Geschwister hatte. Eigentlich wusste ich gar nichts“, sagt Amelie Fried im AZ-Gespräch.

Nichts über die vielen Familienmitglieder, die von den Nazis ermordet wurden. Nichts von einer Tante Ilse, die im KZ Izbica starb und von der sie den zweiten Vornamen hat. Nichts von einem Onkel Walter, der von München nach Bolivien auswanderte und noch heute in Seattle lebt. Nichts über den Großvater, der KZ und Zwangsarbeit überlebte. Und nichts von den traumatischen Erlebnissen ihres eigenen Vaters.

Drei Jahre ist der Anruf her. Damals begann die TV-Moderatorin und Buchautorin zu recherchieren. Jetzt dokumentiert sie ihre Familiengeschichte in dem Buch „Schuhhaus Pallas – wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte“ (Hanser Verlag, 180 Seiten, 14,90).

Über Krieg und Judenverfolgung wurde nie gesprochen

Amelie Fried, in Ulm geboren, hat sich nie als Jüdin gefühlt. Sie wusste, dass ihr Großvater Jude war, doch er war schon 1905 zum Christentum übergetreten und mit einer Christin verheiratet. Über Krieg und Judenverfolgung wurde im Hause Fried nie gesprochen. Ein Tabu, akzeptiert von Amelie und ihren beiden jüngeren Brüdern. „Diese Zeit war kein Thema. Ich habe das nie hinterfragt.“

Erst bei den Nachforschungen brach Fried dieses Schweigen. Sie fand reichlich Dokumente, befragte Angehörige wie ihre Tante Anneliese, die kurz vor ihrem Tod alte Fotokisten auspackte. So rekonstruiert Amelie Fried die Geschichte ihres Opas Franz, der mit seiner Frau Martha das „Schuhhaus Pallas“ in Ulm hatte. Franz Fried hatte im ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde sein Geschäft boykottiert. Um seine Existenz zu retten, überließ er den Laden seiner „arischen“ Frau Martha. Anfang 1939 kommt er wegen „Ungebühr“ ins KZ: Er hatte sich geweigert, mit dem allen Juden aufgezwungenen zweiten Vornamen „Israel“ zu unterschreiben. Zur gleichen Zeit reicht seine Frau die Scheidung ein. Nur zum Schein, wegen des Geschäfts, hieß es in der Familie. Franz kommt aus dem KZ frei, mit der Auflage, das Land zu verlassen. Er übersiedelt von Ulm nach München, wo sein Bruder Max lebt. Seine Frau Martha bekundet derweil per Brief dem Amt, ihr Geschäft sei nun endgültig „frei von jedem jüdischen Einfluss“.

Das Münchner Internierungslager in der Clemens-August-Straße in Berg am Laim überlebte Franz Fried wohl nur, weil in seinen Dokumenten fälschlicherweise bis zum Schluss „verheiratet“ vermerkt war, er also durch eine „Mischehe“ mit einer Nicht-Jüdin privilegiert war. Sein Bruder Max und seine Frau Lilli wurden von dort deportiert.

Nach dem Krieg lebte Franz Fried wieder mit seiner Ex-Frau Martha zusammen. Überwunden haben sie die Vergangenheit nie, haben auch nicht wieder geheiratet. „Selbst ich als Kind habe die Kälte zwischen den beiden gespürt“, sagt Amelie Fried.

Sie maßt sich kein Urteil an, nicht über die Großmutter, die sich vom jüdischen Ehemann scheiden ließ, nicht über andere Verwandte, die unter Druck „nicht alle heldenhaft“ waren. „Es steht mir nicht zu. Keiner von uns war auch nur annähernd in einer solchen Situation.“

Schmerzhaftes Eintauchen ins Leben des Vaters

Ihre Recherche brachte Fried die unbekannten Verwandten nahe, vor allem aber den eigenen Vater. Kurt Fried war 52, als sie 1958 geboren wurde. Innig war das Verhältnis nie. „Er war sehr schwierig. Ungeduldig, jähzornig. Er war ein Mann, der für mich als Kind Furcht und Schrecken verbreiten konnte“, sagt Fried. Der Journalist und Verleger der Schwäbischen Donauzeitung brachte sie früh mit Büchern, mit Kultur und Sprache in Verbindung. Menschlich blieb er für sie immer ein Fremder.

Als er 1980 im Sterben liegt, ist Amelie 22 Jahre alt und schreibt ein Gedicht: „Ich weiß, man darf seinen Vater nicht hassen“, heißt es da. „Doch dein Schatten verdunkelt mein Leben. Du hast mich zum Krüppel gemacht und mich gezwungen, dir ähnlich zu sein. Und jetzt verlässt du mich.“ Damals sei ihr Gefühl dem Vater gegenüber vor allem Enttäuschung gewesen, sagt Fried: „Ich hatte immer das Gefühl, ihm nicht zu genügen.“ Bei den Nachforschungen lernt sie ihren Vater als jungen Mann kennen. Der Journalist Kurt Fried bekam als „Halbjude“ Berufsverbot, später war er im Zwangsarbeiterlager Leimbach, ein Außenlager des KZs Buchenwald. „Ich verstehe plötzlich vieles“, sagt die 49-jährige Amelie Fried heute. „Ich verstehe seine wütende Leidenschaft. Er hat ja keinen peinlichen Auftritt gescheut – er ist auch türenknallend aus einer Theater-Diskussion raus und hat gebrüllt: ,Alles reaktionäres Gesindel.’ Auch das ist das Ergebnis jahrelanger Unterdrückung. Er wollte sich nie mehr den Mund verbieten lassen.“

Von den Verwandten, die Krieg und Holocaust überlebt hatten, wollte Kurt Fried später nicht mehr viel wissen. Von den alten Zeiten schon gar nicht. Dass er nicht mal zu seinen Kindern ein enges Verhältnis aufbauen konnte, sieht Amelie Fried heute in einem größeren Zusammenhang. „Ich glaube, dass seine Erfahrungen dazu beigetragen haben, dass er ein Misstrauen allen Menschen gegenüber hatte.“

Das Eintauchen in das Leben des Vaters war für Fried oft schmerzhaft, aber „am Ende hatte es etwas Befreiendes“. Ihren eigenen Kindern, die inzwischen 15 und 13 Jahre alt sind, möchte sie die Geschichte hinterlassen. Und nicht nur ihnen. „Ich möchte sie dieser ganzen Generation erzählen. Die Jugendlichen hören zwar viel in der Schule über diese Zeit. Aber Geschichte vermittelt man am besten mit Geschichten, die sie auch emotional erreichen.“ Deswegen ist ihr Buch ein Jugendbuch, hinten gibt es ein Nachschlagewerk zu Begriffen der Zeit. „Man darf nicht aufhören, Aufklärung zu betreiben“, sagt Fried. „Das ist ein Thema, das niemals vorbei ist.“

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