Interview

Am Abgrund: Daniel Harrich zeigt Korruption und den Kampf um Rohstoffe

Der ARD-Thementag "#Unsere Erde" thematisiert den hohen Preis unseres Wohlstandes
von  Adrian Prechtel
"Am Abgrund": Hans-Jochen Wagner spielt einen Bundestagsabgeordneten. Seine Stieftochter (Luna Jordan) ist eine oppositionelle Bloggerin, die im diktatorischen Aserbaidschan in Schwierigkeiten gerät. Hier sind sie an einer Mine in Karabach, das von Aserbaidschan annektiert wurde. Foto: ARD/SWR/diwafilm
"Am Abgrund": Hans-Jochen Wagner spielt einen Bundestagsabgeordneten. Seine Stieftochter (Luna Jordan) ist eine oppositionelle Bloggerin, die im diktatorischen Aserbaidschan in Schwierigkeiten gerät. Hier sind sie an einer Mine in Karabach, das von Aserbaidschan annektiert wurde. Foto: ARD/SWR/diwafilm © ARD/SWR/diwafilm/Daniel Harrich

Vor gut drei Jahren wendet sich der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe, der auch Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ist, an Daniel Harrich. Er erzählt davon, dass Abstimmungen merkwürdig klar im Sinne Aserbaidschans stattfinden, damit Europa wegschaut, was dort passiert: totale Überwachung, Mundtot-Machen jeglicher Opposition und freier Presse, Verhaftungen von Missliebigen. Harrich beginnt zu recherchieren und deckt Korruption in großem Stil auf. Daraus hat der Regisseur einen Spielfilm und Dokumentationen gemacht, die heute beim ARD-Thementag zu sehen sind. Während des Interviews klingelt sein Telefon. Anwälte sind dran. Sie beraten kurz, wie man die einstweilige Verfügung gegen die heutige Ausstrahlung von "Am Abgrund" abwehren kann.

AZ: Herr Harrich, waren das die Anwälte von Jennifer Lopez, die gegen den Film vorgegangen sind? Sie kommt ja im Spielfilm vor, wenn sie in Baku ihr Stadionkonzert gibt.

DANIEL HARRICH: Nein, aber natürlich sollten sich Popstars fragen, auf wessen Einladung sie auftreten. Im Falle von Aserbaidschan gilt das genauso für Elton John oder Dua Lipa und Pharrell Williams. Aber im Augenblick wehren wir eine einstweilige Verfügung gegen die Ausstrahlung heute Abend ab, weil sich ein paar Mächtige daran stören, was wir im investigativen Spielfilm "Am Abgrund" zeigen. Aber an unserem Drehbuch haben - ich sage das mal so lustig - mehr Juristen mitgeschrieben als Scriptwriter.

Im anschließenden Dokumentarfilm kommt auch Khadija Ismailowa vor, eine unerschrockene Bloggerin und Journalistin, die eingeschüchtert, inhaftiert und heimlich beim Sex gefilmt wurde, womit man sie erpressen wollte. Ihr früherer Partner ist auf offener Straße mit fünf Schüssen erschossen worden. Aber sie verlässt das Land nicht, macht weiter. Das erinnert an Helden wie Alexej Nawalny.

Absolut. Nur dass es in Aserbaidschan sauberer wirkt, weil die totale Kontrolle bereits geglückt ist. Bei unserem Dreh haben wir gemerkt, dass man trotz europäischem Handy sowas wie Google oder Informationsseiten wie tagesschau.de teilweise gar nicht öffnen kann. Journalismus ist in Aserbaidschan nicht frei möglich. Auch sind die Straßen in Baku mit Kameras, angeblich weitgehend mit Gesichtserkennung, überwacht. Wir sind beim Dreh dauernd verhaftet worden, obwohl wir - unter dem Vorwand eines Ökospielfilms - Genehmigungen hatten. Misstrauen und Überwachung haben das Land komplett im Griff.

Wie kann man dann jemanden wie Ismailowa unterstützen?

Der einzige fragiler Schutz ist, dass sie im Ausland bekannt ist, und sich Aserbaidschan nach Außen keine allzu große Blöße geben will. Aserbaidschan ist ja nur ein besonders klares Beispiel für das, was sich in unserer Welt abspielt: die geopolitische Tragweite des Kampfes um Rohstoffe. Es ist ein Beispiel rohstoffbasierter Machtpolitik, wie man es die Jahrzehnte zuvor mit Öl und Gas kannte. Jetzt geht es halt um Kupfer, Kobalt, Lithium, andere Erze und seltene Erden.

Im Film zeigen Sie auch, dass der Überfall Aserbaidschans auf die armenische Enklave Bergkarabach an den Bodenschätzen dort liegt.

Ja. Das ist offensichtlich ein weiterer Baustein für die wachsende geopolitische Macht Aserbaidschans.

Und jetzt darf Aserbaidschan auch noch die nächste Weltklimakonferenz ausrichten.

Das ist natürlich eine Möglichkeit, sich der Welt als modern zu präsentieren. Der europäische "Green Deal" zur ökologischen Transformation will nicht nur fossile Brennstoffe vermeiden, sondern braucht vor allem massiv Rohstoffe. Wenn man einen Laptop oder ein Handy kauft oder ein E-Auto startet, ist neben anderen seltenen Rohstoffen eine Lithium-Batterie im Spiel. Bei einem Mittelklasse-PKW enthält diese vielleicht vier oder fünf Kilo Lithium. Ich war in Abbaugebieten und habe die Verwüstungen gesehen: Nur für das Lithium einer einzigen solchen Batterie müssen 1,2 Tonnen Gestein abgebaut werden. So eine Auto-Batterie braucht auch noch durchschnittlich 32 Kilo Nickel. Dafür müssen 16 Tonnen Gestein abgebaut werden. Und das sind nur zwei von den vielen Rohstoffen, die Elektronik und E-Mobilität brauchen. Da geht es also um Abbauvolumen wie die Zugspitze - nur für den prognostizierten deutschen E-Mobilitäts-Verbrauch.

Würde man am eigenen Ast sägen, wenn man Länder wie Aserbaidschan ausschließt?

Der Kampf um Rohstoffe steht auf der einen Seite, auf der anderen die politische Macht der produzierenden Länder wie Aserbaidschan. Man will es sich eben auch mit totalitären Regimen nicht verscherzen, das ist in unserem Interesse. Es geht ganz umfassend um unseren Wohlstand, unsere Arbeitsplätze in der Zukunft. Und da stellen sich dann die Fragen von Ethik in der Außenpolitik und den Wirtschaftsbeziehungen. Jeder überlegt, wo man Einfluss auf die zentralen Rohstoffe bei der Wende zur Elektromobilität bekommen kann: Regierungen, Unternehmen und Investmentfirmen.

Dabei hat Aserbaidschan massiv Politiker in Europa bestochen.

Ja, das konnten wir - zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe und der Staatsanwaltschaft - ebenfalls beleuchten. Und es ist auf unsere Recherche zurückzuführen, dass die Strafvorschriften für Bestechung von Abgeordneten gerade verschärft werden sollen. Bisher musste es einen kausalen Zusammenhang geben: Geld gegen Abstimmung. Aber so war es nicht.

Wie war es denn?

Europäische Politiker - darunter auch Bundestagsabgeordnete - ließen sich "beschenken", damit - zum Beispiel im Europarat, der Institution zur Überwachung von Demokratie und Menschenrechten - Aserbaidschan nicht als Diktatur bezeichnet wird. Was es aber klar ist. Abgeordnete bekamen Geld, Geschenke und andere Vorteile, ohne dass sie sich zu etwas ausdrücklich verpflichten mussten. In Zukunft soll so eine "mittelbare Bestechung" aber als Straftat genügen.

Ihr Filmprojekt ist mit einem Spielfilm zur Primetime und anschließendem Dokumentarfilm sowie drei weiteren Länderrecherchen - China, Chile, Brasilien in der Mediathek - richtig groß geworden.

Es ist ein Thementag. Die "Tagesschau" soll noch einsteigen und es wird in "Report Mainz" auch einen Beitrag geben. Wir sind gerade inmitten eines Sturms: Anklagen gegen ehemalige Abgeordnete, Entzug der Akkreditierung der Delegation Aserbaidschans im Europarat.

Aber Aserbaidschan steht geopolitisch mit seinen Rohstoffen besser da denn je.

Wir brauchen die - genauso wie China - mehr als die uns. Das muss man sich klarmachen.

Korruptionsskandale sind ja auch immer Wasser auf die Mühlen von Demokratieverächtern, nach dem Motto: "Da seht ihr's: Der ganze Laden da oben ist korrupt!"

Aber in einer Demokratie kann man das eben sagen und aufdecken. Da gibt es rechtsstaatliche und mediale Selbstreinigungsprozesse, die es in Aserbaidschan eben nicht gibt. Da werden kritische Leute verhaftet oder gar beseitigt, wie im Iran, in Saudi Arabien oder in China. Dass können doch die Zyniker, die unsere Demokratie destabilisieren wollen, nicht wirklich wollen, oder?

Haben Sie Angst, Zielscheibe von Gewalt zu werden?

Zum ersten Mal gab es auch beim Filmteam Einschüchterungen per Mails oder in den Sozialen Medien. Aber das ist nichts im Vergleich dazu, was die tapferen Aufklärer in Aserbaidschan aushalten müssen - bis hin zur Angst um ihr Leben. Und da mache ich mir mehr Sorgen um Leute, die für uns dort vor der Kamera standen.

ARD, "Am Abgrund". Und "Am Abgrund - Die Dokumentation". Weitere Dokus zu Chile, Brasilien und China in der ARD-Mediathek

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