Als Tanzbär in der Manege

Kindesmissbrauch als Zirkusnummer: Das Singspiel „Furcht und Zittern“ von Händl Klaus und Lars Wittershagen in den Kammerspielen
von  Abendzeitung

Kindesmissbrauch als Zirkusnummer: Das Singspiel „Furcht und Zittern“ von Händl Klaus und Lars Wittershagen in den Kammerspielen

Es beginnt wie bei Kafka: Um vier Uhr morgens holt die Polizei Manfred Horni aus seiner Wohnung. Anders als Herr K. aber weiß Herr H., was ihm zur Last gelegt wird: sexueller Missbrauch von Kindern.

Zwei Jahre war er in Haft, seinen Beruf als Musiklehrer hat hat er verloren und muss zu Kindern einen Mindestabstand wahren. Nun wird in der Nachbarschaft ein Kinderheim gebaut, und Herr Horni muss weg. Nackt, wie er aus dem Bett geholt wurde, verlässt er zwar sein Haus, lebt aber aus Protest mit seiner sich wacker solidarisierenden Ehefrau (ebenso glamourös wie zickig: Caroline Ebner) auf der Straße. Dort unterziehen ihn die Heimkinder der Prüfung, zu widerstehen.

Der österreichische Dramatiker Händl Klaus machte aus dem brisanten Plot mit der Musik von Lars Wittershagen ein Singspiel. Den Titel „Furcht und Zittern“ entliehen sie bei Sören Kierkegaard, einem pietistischen Forscher menschlicher Schuld. Um Furcht zu lehren und Zuschauer erzittern zu lassen ist aber schon das Libretto zu artifiziell.

Was vernünftigerweise intellektuelle und emotionale Distanz schaffen soll, verstellt den Blick auf den geächteten Täter ebenso wie auf die hysterisierte Öffentlichkeit. Sogar die Dialoge sind musikalisch durchrhythmisiert und silbenweise auf verschiedene Sprecher verteilt.

Regisseur Sebastian Nübling setzt noch einen drauf: Er bespielt die ausgelutschte Zirkus-Metapher, mit der sich gar nichts bis alles belegen lässt. Da gelingen mit Tanja Schleiff als Pädagogin Wally als puppenhafter Dompteuse einige eindrucksvolle Bilder der Dressur. Kinder werden wie Pferdchen und ihr Verführer wie ein Tanzbär durch die Manege getrieben.

Doch das Zirkus-Ambiente verniedlicht grundsätzlich gnadenlos und unentschuldbar. Jochen Noch als Horni, mit dem schauspielerisch nachweislich mehr möglich ist, wurde dazu abgerichtet, mit Hundeblick die Schultern ebenso hängen zu lassen wie sein Genital. Selbst die gut gemeinte Provokation, mit den Auftritten des Kinderchors – im güldenen Kleid und mit Püscheln auf dem Kopf die Mädchen, im schwarzen Smoking mit Fliege die Jungens – den Kinderschänder in uns allen zu wecken, geht zwischen Menschen, Tieren und putzigen Sensationen irgendwo unter.

Mathias Hejny

Schauspielhaus, 22., 26. 10., 4., 9. 11., 20 Uhr, Tel. 23396600

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