Alles unter Kontrolle
Nacktheit schafft maximale Aufmerksamkeit. Die 1700 Teilnehmer haben am Samstag früh etwas erlebt, von dem sie ihren Enkeln erzählen können. Die Bayerische Staatsoper kam dank Spencer Tunick mühelos in alle Fernsehnachrichten. Zeitungen drucken Fotos weltweit. Das Nationaltheater steht trotz korinthischer Säulen als coole Location da, und der Marketingwert dürfte den Aufwand mühelos einspielen.
Wegen solcher Nebeneffekte werden Tunicks Aktionen von der Kunst-Großkritik nicht ganz für voll genommen. Und nicht jede gelingt gleich gut. Im Vergleich zu dem simplen Gruppenfoto, das 2010 vor der Oper von Sidney entstand, wirkt die Münchner Aktion viel schlüssiger, weil Wagners „Ring des Nibelungen” als Bezugspunkt klar erkennbar bleibt. Die vor der Feldherrnhalle entstandenen Bilder nehmen die Vergangenheit dieses Orts kritisch auf und sie zugleich auch aus, weil Nacktheit nun einmal auch etwas mit einem lebensfreundlichen Hedonismus zu tun hat, der dem dort praktizierten Totenkult diametral widerspricht.
Der Künstler protestiert gegen die Zensur des Körpers
Die im Königssaal des Nationaltheaters entstandenen Fotos hält der Künstler vorerst noch unter Verschluss. Obwohl Tunick am Samstag eine Digitalkamera umhängen hatte, nahm er die entscheidenden Aufnahmen analog auf Film auf. Der Amerikaner verwendete zwei Großformatkameras mit vier unterschiedlichen Objektiven, um gegen die weit verbreitete Zensur des Körpers zu protestieren.
Am Sonntag früh folgte eine weitere Installation am Flaucher, zu der die Teilnehmer vom Max-Joseph-Platz kurzfristig eingeladen wurden. Tunick entschloss sich zu diesem Überraschungs-Shooting, um neben dem Ring, Nibelheim und dem Feuer auch noch das Element einzubeziehen, in dem Wagners Opernvierteiler beginnt. Los ging’s wieder bei Sonnenaufgang um 5.15 Uhr. Eingeladen waren nur Frauen, die in Blau oder Gold angemalt wurden.
In einer Woche, wohl zur Premiere der „Götterdämmerung”, läuft vor den Vorstellungen in der Rheingold-Bar des Nationaltheaters ein Video der Aktion. Ab 31. Dezember übernimmt der Künstler die Kontrolle über die Bilder: Die am Samstag entstandenen Pressefotos dürfen nur noch mit seiner Erlaubnis gedruckt werden. Wie es weitergeht, ist offen. In etwa einem halben Jahr erhalten die Teilnehmer ein in limitierter Auflage produziertes Foto. Ob die Installation in einer Ausstellung oder in einem Buch dokumentiert wird, steht noch nicht fest.
Rund 90 Prozent der Freiwilligen kam übrigens aus München und Umgebung. Einzelne reisten aber auch aus Belgien, Frankreich, Israel, Österreich und Dänemark an. In einigen Hotels kam es zu Konflikten beim Entfärben. Rote Spuren wurden auch an Geschäften in der Residenzstraße hinterlassen. Von weiteren Schäden ist nichts bekannt: Ich habe mich übrigens trotz der 13 Grad nicht mal erkältet.