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Hinterkaifeck-Morde: Aus dem Bestseller-Stoff ist jetzt ein miserabler Film entstanden
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Hinterkaifeck-Morde: Aus dem Bestseller-Stoff ist jetzt ein miserabler Film entstanden

Raubmord war noch die banalste Theorie – und die unglaubwürdigste. Denn der Täter ließ nicht nur sechs Leichen unterm Heu zurück, sondern auch 1800 Goldmark und versorgte noch vier Tage lang das Vieh im Stall auf dem Einödhof bei Schrobenhausen weiter.

Bleiben Eifersuchts-Motive des Nachbarn auf den Inzest des Bauern mit seiner Tochter. Oder war es deren Ehemann. Der galt zwar als im Ersten Weltkrieg gefallen, aber Verschwörungtheoretiker hielten ihn für untot. Auch ein psychisch kranker Bäcker und französische Fremdenlegionäre kamen unter Verdacht. Oder war es ein rechtsradikaler Fememord, weil der Gruber-Bauer ein Freicorps-Waffenlager verpfiffen hatte?

Streit um die Rechte

33 Jahre beschäftigte die Justiz der Mordfall Hinterkaifeck, bis 1955 die Akten ergebnislos geschlossen wurden. Aber im letzten Jahr ging es gerichtlich weiter: diesmal um Urheberrechte. Denn die Schriftstellerin Andrea Maria Schenkel hatte mit ihrem Krimi „Tannöd“ einen Bestseller gelandet. Was wiederum den Autor Peter Leuschner verärgerte. Der wollte nicht leer ausgehen und meinte, mit seinem Kolportage-Buch „Der Mordfall Hinterkaifeck“ schon 1997 die Vorlage geliefert zu haben. Das Landgericht München wies die Klage ab. Der Siegeszug von „Tannöd“ setzte sich fort mit bisher über einer Million verkauften Exemplaren allein der deutschen Ausgabe.

Jetzt geht der Kampf um die Deutungshoheit der bestialischen Tragödie auf der Kinoleinwand weiter. Die Leipziger Kinowelt filmte schon im Dezember 2007 mit einem Mini-Budget von rund 2,2 Millionen Euro im niederbayerischen Kößlarn den Film „Hinter Kaifeck“.

Die Münchner Constantin dagegen kaufte die Verfilmungsrechte am Schenkel-Buch, drehte erst letzten Herbst in der Eifel mit Julia Jentsch und Monika Bleibtreu. So kann der „Tannöd“-Film erst am 19. November starten und hat das Rennen gegen den diese Woche ins Kino kommenden „Hinter Kaifeck“ mit Benno Fürmann und Alexandra Maria Lara verloren.

Ein peinlicher Mystery-Thriller

Meist ist es schwer, Publikum zweimal für das selbe Thema ins Kino zu locken. So ging selbst „Amadeus“-Regisseur Milos Forman 1989 mit „Valmont“ baden und spielte bei einem 33-Millionen-Dollar-Budget nur 3 Millionen wieder ein. Denn ein halbes Jahr zuvor waren schon die „Gefährlichen Liebschaften“ von Stephen Frears gestartet und hatten mit 34 Millionen-Dollar-Einspielung zehnmal soviel Erfolg. Diesmal ist das anders: Trotz späterem Start muss die Constantin um ihren „Tannöd“ keine Angst haben, Vorreiter „Hinter Kaifeck“ ist nur ein peinliches Desaster.

Regisseurin Esther Gronenborn (40) hatte 2001 mit ihrem Spielfilmdebüt „alaska.de“ den Deutschen Filmpreis für Regie bekommen. Es ging ums Erwachsenwerden Jugendlicher in einer Plattenbau-Satellitenstadt, wo Gefühlskälte, Geltungsdrang und Bandenkriege das Leben prägen.

Jetzt hat sie aus einem erschütternden Mordfall einen Mystery-Thriller gemacht – mit Benno Fürmann als starr-mimisch, dauer-erschüttert dreinblickenden Fotografen auf der Spur von urtümlichen, bayerischen Bräuchen. Er kommt nach Kaifeck, lernt eine einheimische Unschuld vom Lande kennen, dialektfrei gespielt von Alexandra Maria Lara, deren naiv-nette Rehäugigkeit keine Familienabgründe erahnen lassen. Selten hat man eine hölzernere Personenführung erlebt.

Türen knarren im Nebel

Anstatt die historischn Mordgeschichte als Stoff zu benutzen, dient sie nur als Grusel-Folie für den Jetztzeit-Film. Nachts führen Dämonen übernatürlich den Fotografen zum Mord-Hof, mit dessen grausamer Geschichte von vor 80 Jahren er ungeahnt verbunden ist. Türen knarren im Nebel, Neonröhren flackern, Strom fällt aus, die Dialoge entsprechen der platten Bildsprache. Keine Figur entwickelt Spannung, jedem – vom hilflosen Pfarrer bis zum zwielichtigen Kramer – sieht man von der ersten Sekunde an, was von ihm zu halten ist.

Und der Auftritt der Perchten in Raunächten ist hier nicht Lokalkolorit, sondern Pseudo-Beweis für behauptete hinterwäldlerische bayerische Rückständigkeit. Wie sagt Fürmann zur Beruhigung seines Sohnes über’s Brauchtum: „Das haben die sich ausgedacht, weil sie noch nicht in der Gegenwart angekommen sind.“

Adrian Prechtel

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