Alles nur eine Illusion

„Der Kaktus“ schweigt beim Verhör: Bettina Bruiniers saftige Inszenierung der Polit-Farce von Juli Zeh im Volkstheater
von  Abendzeitung

„Der Kaktus“ schweigt beim Verhör: Bettina Bruiniers saftige Inszenierung der Polit-Farce von Juli Zeh im Volkstheater

Sie glaubt „an Naturschutz, Umweltschutz, Tierschutz, Kinderschutz und Menschenrechtsschutz. Ich bin Mitglied bei Greenpeace und Amnesty International. Und ich war gegen den Irakkrieg.“ Die Polizeianwärterin Susi weiß, dass sie alles richtig gemacht hat und wird doch abgewatscht von Polizeioberrätin Schmidt: „Wie wär’s mit etwas Glauben an Staatsschutz und Verfassungsschutz, auf den Sie beruflich verpflichtet sind?“

Später kollabiert Susi, wenn der „Gefährder“ gefoltert wird, um Informationen über ein geplantes Bombenattentat zu erzwingen. Ihr türkischstämmiger Kollege Cem, stolz auf seinen Hauptschulabschluss, erkennt Susis Problem: „Ich glaub’, das mit dem Abi ist irgendwie schädlich. Kann man sich das irgendwie wegmachen lassen?“

Die Arbeitsthese für das zweite Theaterstück der Erfolgsromanautorin und studierten Juristin Juli Zeh lautet, dass die Anti-Terror-Gesetzgebung verfassungsfern genug ist, um auf ihrer Grundlage auch einen Kaktus verhaften zu können. Mit „Der Kaktus“ versuchte Zeh, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Sie schrieb einen verwegenen Mix aus Kabarett, Polit-Thriller und absurdem Theater:

Der Sound des Boulevards

Der mental längst abgewrackte GSG-Kämpfer Jochen (Thomas Schmidt), die mit allen Handbüchern der Menschenführung gesalbte BKA-Ermittlerin Frau Schmidt (Sophie Wendt) sowie die Nachwuchs-Ordnungshüter Susi (Kristine Pauls) und Cem (Stefan Ruppe) verhören einen Kaktus, der wenig Kooperationsbereitschaft zeigt.

Regisseurin Bettina Bruinier (AZ-Jahresstern 2007 für die Adaption des Zeh-Romans „Schilf“) griff in ihrer Uraufführungsinszenierung auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters den für die sonst so metapherfreudige Autorin überraschenden Boulevard-Sound effektsicher auf. Die Hochgeschwindigkeits-Dialoge, für die die vier Schauspieler ein Glücksfall sind, lassen es leicht nehmen, dass Juli Zeh hier ganze Kontinentalverschiebungen an individueller und kultureller Identität am Beispiel der Preisgabe von Rechtsstaatlichkeit zugunsten einer Illusion von Sicherheit verhandelt. Kein ganz großer Dramentext, aber ein angemessen pamphletisches Menetekel für eine Wertegemeinschaft, die von ihren Werten überfordert scheint.

Mathias Hejny

Samstag, Montag, am 2. und 23. 12., 20 Uhr, Tel. 523455

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