Allein gegen das Unrecht
Die Geschichten für seine Romane findet der Britische Schriftsteller Robert Harris häufig in der Vergangenheit, nun hat er den Dreyfus-Fall im Roman „Intrige“ verarbeitet.
Ende des 19. Jahrhunderts stand die französische Gesellschaft vor einer Zerreißprobe. Der Militärgeheimdienst warf dem jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus Spionage vor, 1895 wurde er auf eine Gefängnisinsel vor Südamerika verbannt. Georges Picquart, neuer Leiter des Militärgeheimdienstes, stieß auf eine große Intrige – Dreyfus war unschuldig. Die ganze Welt verfolgte gebannt die Revision. Robert Harris hat aus diesem historischen Stoff mit „Intrige“ eine Spionagegeschichte von unglaublicher Wucht gemacht.
AZ: Herr Harris, Roman Polanski hat Sie überredet, diesen Roman zu schreiben?
ROBERT HARRIS: Wir haben nach unserer Zusammenarbeit bei „Ghostwriter“ darüber gesprochen, einen Film über die Dreyfus-Affäre zu machen. Ich habe dann viel recherchiert, und ich war ein bisschen skeptisch: Der Fall ist so umfangreich, er geht über zwölf Jahre und ich wusste nicht, ob sich heute noch jemand dafür interessieren könnte. Erst als ich die Figur Picquart entdeckte, konnte ich mir einen besseren künstlerischen Zugang verschaffen. Er scheint aus heutiger Sicht die modernste Figur zu sein. Ich fragte Polanski, ob ich statt des Drehbuchs zuerst eine Roman aus Picquarts Sicht über den Fall schreiben könnte – und er war einverstanden.
Weil es ohnehin so lange dauert, einen Film zu finanzieren?
Roman Polanski ist jetzt 80 Jahre alt, er hat nur noch dieses Projekt auf seiner Wunschliste. Das Zeitfenster, den Film zu machen, ist nicht unermesslich groß. Jetzt gibt es zumindest schon den Roman.
Es gibt sicher Menschen, die Polanski unterstellen, sich selbst als eine Art Dreyfus sehen zu wollen, als ein Medienopfer. Wäre das nicht eine Gefahr für den Film?
Ich würde da keine Parallele ziehen. Roman Polanski hat sich für sein Vergehen, Sex mit einer Minderjährigen vor 36 Jahren, schuldig bekannt. Dreyfus hat gar kein Vergehen begangen. Was dann die Medien daraus machen, kann kein Mensch beeinflussen. Ich würde den Film aber nur mit Roman machen, sonst gar nicht. Roman ist eine überragende Persönlichkeit im Filmgeschäft, es ist ein großes Privileg, mit ihm arbeiten zu können.
Als Louis Begley sein Buch über Dreyfus schrieb, wollte er auch auf das Guantánamo-Unrecht der US-Regierung hinweisen, Sie sehen Picquart als einen Vorgänger von Edward Snowden.
Ich war am Bewusstsein Picquarts interessiert, an den Details von Spionage im ausgehenden 19. Jahrhundert und an den Auswirkungen der Massenpresse, die damals entstand. Als ich das Buch fast fertig geschrieben hatte, kam der Fall Snowden auf. Ich habe meinen Verleger angerufen und ihm gesagt, dass ich erst jetzt realisiere, einen Roman über ein Whistleblower geschrieben zu haben, vielleicht sogar den ersten.
60 Prozent der Deutschen sehen Snowden als Held, nicht als Verräter. Sollte er Asyl bekommen?
Ich habe große Sympathien für Snowden, ich war Journalisten und glaube an die Kraft von Aufdeckung und Aufklärung. Ich würde Snowden natürlich nicht verfolgen. Aber ich bin auch ein realistischer Mensch: Zu glauben, dass eine westliche Regierung ihm Asyl gewährt, ist doch sehr komisch.
Auch der Schriftsteller Émile Zola riskierte viel für die Gerechtigkeit im Fall Dreyfus.
Dreyfus wurde durch einen Whistleblower befreit und den Druck der Presse, für letztere hat Zola mit seinen Artikeln große Dienste geleistet.
Haben Sie dadurch auch über ihre Rolle als Autor nachgedacht?
Ich habe mich in der Vergangenheit häufiger politisch geäußert und für diverse Themen stark gemacht. Das ist unsere Waffe als Autoren, gegen Unrecht vorzugehen. Aber ich denke nicht, dass Schriftsteller grundsätzlich intelligentere oder bessere Politiker wären. Ein Land, regiert von Schriftstellern, wäre wahrscheinlich einer der schrecklichsten Orte, an denen man leben könnte.
Ihre Bücher handeln immer vom Missbrauch der Macht.
Aber nur aus dem Grund, dass Romane über eine gut und ausgewogen ausgeübte Macht wahrscheinlich sehr langweilig wären. Ich bin also keineswegs ein skeptischer Mensch. Wenn man wie ich auch historische Romane schreibt, so macht einen das zumindest bedingt optimistisch in Bezug auf die Entwicklung der Gesellschaft.
Sie haben diesen Roman in nur einem halben Jahr verfasst, das klingt unglaublich.
Das ist es auch für mich, das ist mir noch nie passiert. Ich habe allerdings sehr viele Vorarbeiten gemacht. Als ich am 15. Januar mit dem Buch begann, gab es keine Schwierigkeiten mehr. Alle Ampeln standen auf Grün. Ursprünglich war das Buch für mich ein Risiko, ich hatte fast keine Ahnung von der Belle-Epoque-Zeit in Frankreich, oder von der französischen Armee. Es war für mich ein Weg ins Unbekannte. Aber jetzt betrachte ich das Buch als dasjenige, das bislang am besten dem entspricht, was ich zum Ausdruck bringen möchte. Und es ist eine fast klassische Spionagegeschichte.
Wir erleben im Fernsehen und auf dem Buchmarkt neuerdings fast eine Krimi-Monokultur.
Das würde ich nicht so sehen, auch „Hamlet“ ist schließlich schon ein Krimi. Die Menschen haben sich immer für Verbrechen und Verrat interessiert. Aber ehrlich gesagt, ich lese diese aktuellen Krimis nicht. Wenn ich Krimis lese, dann Klassiker wie Graham Greene, aber meistens lese ich Geschichtsbücher und Biografien.
Robert Harris: „Intrige“ (Heyne, 620 Seiten, 22.99 Euro)