Alkohol ist keine Lösung
Am Ende wurde ein Satz von Richard Wagner projiziert: „Ich bin der Welt noch den ,Tannhäuser’ schuldig.” Sich so um den Schluss zu drücken, ist zu billig. Sebastian Baumgartens denkfaule Inszenierung unterbietet selbst den Ratten-„Lohengrin" des ausgebrannten Regieprovokateurs Hans Neuenfels aus dem Vorjahr. Sollten die Wagner-Schwestern wirklich den abgenudelten Frank Castorf für den kommenden Nibelungenring verpflichten, wird das künstlerische Niveau in Wagners Werkstatt langsam ganz lächerlich.
Schon jetzt fällt es schwer, Bayreuth noch ernst zu nehmen. Baumgarten findet „Tannhäuser” einfach nur blöd. Weder der Gegensatz zwischen Venus und Elisabeth, noch das anarchische Außenseitertum des Titelhelden waren ihm wichtig. Die Göttin der Liebe herrscht als hochtoupierte Zicke über einen Hörselberg, den Kaulquappen und rammelnde Affen bevölkern. Ihre Gegenspielerin ist eine eitle Gans, die sich bei der Hallenarie Schmuck ansteckt und zuletzt aus Erlösungswahn in einen Tank springt.
Ein Depp in Unterhosen
Weil der Regisseur bemerkt hat, dass sich bei Wagner die widerstreitenden Sphären vermischen, geistert die Venus auch während des Sängerkriegs und beim „Lied an den Abendstern” herum. Die Wartburg-Ritter sind ein Haufen Deppen, von denen sich Tannhäuser in seiner Unterhose kaum abhebt. Wenn alles nur albern ist, warum inszeniert Baumgarten diese Oper?
Ein paar Winke gibt die 2004 entstandene Installation „Technocrat” des niederländischen Künstlers Joep van Lieshout. Sie zeigt den Menschen als Zahnrad eines biologischen Kreislaufs: Er liefert das Rohmaterial zur Erzeugung von Methan, das zur Produktion von Alkohol eingesetzt wird. Aber diese Wiederkehr des Gleichen in einem geschlossenen System bleibt eine Allerweltsthese, weil sich Lieshouts Installation auf der Bühne nicht von selbst erklärt und der unfähige Regisseur die Sänger darin in einer Weise herumstehen lässt, wie es jedem Provinztheater peinlich wäre.
Schwebende Klänge
Das Etikett „Festspiele” verdienen nur Chor und Orchester unter Thomas Hengelbrock. Mit ihm steht erstmals ein Mann der historischen Aufführungspraxis am Bayreuther Dirigentenpult. Obwohl das versenkte Orchester eigentlich einen breiten Mischklang begünstigt, klingt alles schwebend und licht. Der Einzug der Gäste bleibt elegant und ohne teutonisches Dröhnen. Im dritten Akt holt Hengelbrock die düster-fahle Verhärtung faszinierend heraus, ehe er den Schlusschor zu gewaltiger Kraft steigert, ohne das Flirren der Streicher untergehen zu lassen.
So weit, so spannend. Aber leider muss Wagner auch gesungen werden. Der Schwede Lars Clevemann kräht die Titelrolle mit metallischem Tenor wacker, ohne ihr irgendein persönliches Profil zu verleihen. Das passte zu Camilla Nylunds blasser Elisabeth. Michael Nagy, der den Abendstern in der Hauptprobe noch auf dem Klodeckel sitzend besang, wäre mit etwas mehr lyrischer Zurückhaltung ein optimaler Wolfram. Rundum erfreute nur der Bassist Günther Groissböck als Landgraf.
Der Regisseur und seine Mitstreiter waren am Ende niemandem ein Bravo wert. Stephanie Friedes scheppernde Venus wurde abgestraft. Auch Hengelbrock kassierte Buhs. In jedem anderen Theater der Welt würde nach dieser zweiten desolaten Premiere in Folge der Intendantenstuhl wackeln. Die Wagner-Urenkelinnen werden sich gewiss wieder als hochumstrittene Avantgardistinnen vorkommen, so lange die Sonne von Bundeskanzlerin Angela Merkel Weltpolitik über Bayreuth strahlt. Wenn die Kanzlerdämmerung weiter anhält, werden fränkische Landespolitiker und Alt-Ministerpräsidenten in den Premieren am Grünen Hügel bald wieder unter sich sein. Dem traurigen Niveau der ganzen Veranstaltung entspräche das ganz gut.