"Alice im Wunderland": Der Sieg des Fantastsichen

„Alice im Wunderland“ ist eine fantastische Alltagsflucht, wie sie so nur im Kino denkbar ist: „Ich bin nur halb verrückt“, sagt am Ende der Verrückte Hutmacher (Johnny Depp). Das ist Tim Burtons Antwort auf unsere Welt.
von  Abendzeitung

„Alice im Wunderland“ ist eine fantastische Alltagsflucht, wie sie so nur im Kino denkbar ist: „Ich bin nur halb verrückt“, sagt am Ende der Verrückte Hutmacher (Johnny Depp). Das ist Tim Burtons Antwort auf unsere Welt.

Die ganze Geschichte ist eine Flucht – in den Traum (Wunderland), vor dem Erwachsensein (Zwangsheirat), zu Drogen (Kekse, Pilze, Cocktails). Denn Alice (Mia Wasikowska) ist jetzt nicht mehr 8, sondern 19 Jahre und sie soll eine „gute Partie“ heiraten. Auf dem edel-englischen Verlobungs-Gartenfest schleudert sie den bourgeoisen Erwachsenen schnell noch deren Lebenslügen hin, rennt im gärtnerischen Hecken-Labyrinth dem weißen Hasen hinterher, fällt (in der klassischen Traumdeutung sexuell gewertet) ins Fuchsbau-Loch.

Und landet im Wunderland, das, wie Regisseur Burton (siehe Kino-Stadt, Seite 2) betont, diesmal „Unterland“ ist, also das Unterbewusste, die eigene Fantasie. Hier ist Alice wieder staunendes Mädchen, aber jetzt, als junge Frau, auch eine Art Jeanne d’Arc: für die verrückte Weiße (Anne Hathaway) und gegen die despotische Rote Königin (Helen Bonham Carter), die wunderbar zum Frühstück gerne mal köpfen lässt und als Schreckensinstrument einen brutalen Drachen hält.

„Es ist leichter gefürchtet als geliebt zu werden“, sagt diese Blutrote Königin mit ihrer unvorteilhaft großen Herz-Kopfform. Aber auch sie hat unsere psychologisch geschulte Sympathie. Ihre Grausamkeit ist aus Kindheits-Enttäuschungen über ihre schönere, jüngere weiße Schwester geboren und eigentlich ihr Ruf nach Liebe.

„Die einzige Möglichkeit, das Unmögliche zu erreichen, ist zu denken, dass es möglich ist“, sagt Alice’s Vater – und es spricht eigentlich Tim Burton, der mit seinem Wunder-Unter-Land zu Recht endlich „Avatar“ aus den 3D-Kinos schießen wird. Denn während James Cameron eine banale Geschichte technisch umwerfend brillant in die dritte Dimension geführt hat, löscht Tim Burton endlich alle 3D-Zweifel: Hier ist ein witzig-intelligent bearbeiteter Stoff von 1865, der nach der – für den Zuschauer immer noch befremdend neuen – Dimensionalität geradezu schreit: Der Zuschauer ist selbst im Wunderland, mit seinen exotisch obszönen Blumen wie vom amerikanischen Fotokünstler Mapplethorp erfunden. Ein Höllen-Kampfhund und Flugsaurier greifen an.

So ist „Alice im Wunderland“ eine fantastische Alltagsflucht, wie sie so nur im Kino denkbar ist: „Ich bin nur halb verrückt“, sagt am Ende der Verrückte Hutmacher (Johnny Depp), „damit ich mich wegträumen kann.“ Das ist Tim Burtons Antwort auf unsere Welt.

Adrian Prechtel

Kino (3D): Forum, Cinema, Cinemaxx, Mathäser, Münchner Freiheit sowie Museum Lichtspiele (OV, 2D), R: Tim Burton B: Linda Woolverton und Tim Burton

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