Aktuell: "Prometheus" in der Glyptothek

Ist es ein Kulturschock, wenn man heute "Prometheus in Fesseln" sieht und hört? Immerhin trennen uns über 2500 Jahre von Aischylos. Und dann spielt sein Stück unter Göttern, die nicht die unseren sind.
Und doch geht es um uns Menschen. Denn dieser Titan Prometheus hat uns - gegen den Willen des Zeus - aus Lehm modelliert und uns aus Mitleid über unser kümmerliches Dasein das Feuer gegeben - und mehr: die gesamte "Werkzeug-Intelligenz", wie Freud es nennt. Und es ist witzige Ironie, dass just als Prometheus aufzählt, was er alles an Techniken den Menschen gebracht hat, kurz ein ordinär aufjaulender Automotor über das Gebäude der Glyptothek hinweg in den abgeschirmten Innenhof hineinröhrt.
30 Jahre lang hat Gunnar Petersen sein Theater in der Glypthotek gespielt. Seit 10 Jahren war auch Sven Schöcker dabei. Und so fällt jetzt die Übernahme der Theaterspiele durch ihn auch ohne großen Bruch aus: Der Stoff bleibt antik, die Sprache ist nicht abgehoben erhaben oder sperrig, aber doch literarisch und durchaus überhöht. Immer noch müssen die Schauspieler mit theatralisch geschulter Stimme den Innenhof füllen - was sie wunderbar klassisch beherrschen. Und wenn einzelne Passagen dann doch in ein Mikrophon gesprochen werden, so sind es akustisch hervorgehobene Berichte oder die Fragen oder Kommentare des Chors.
Zeus hat diesen Prometheus, der ihm sogar geholfen hatte, seinen Gewaltherrschafts-Vater zu stürzen, undankbarerweise an den Kaukasus gekettet - für immer. Hier in der Glyptothek sind es nur kurze eineinviertel Stunden und der Fels ist die große ionische Säule des Innenhofs. Die anfangs vernünftige Revolution frisst ihre Kinder und wird totalitär.
Man kann also bei Brot und Wein an kleinen Tischen in diesem Mini-Arkadien genussvoll vergangener Weltliteratur lauschen. Aber wenn man mit- und weiterdenkt, dann wird klar, hier wird Aktuelles und Grundsätzliches verhandelt: Der Mensch als "Eintagsfliege", muss seine Sterblichkeit, Sinnlosigkeit, Nichtigkeit verdrängen, um handlungsfähig zu sein. Prometheus (Christian Buse) hat ihm dazu auch "blinde Hoffnung" eingepflanzt, so dass er sich vernunftbegabt und todesvergessen als Krone der Schöpfung fühlen kann.
Verhandelt wird in "Prometheus in Fesseln" aber vor allem die Frage des Widerstands gegen eine Gewaltherrschaft (hier die des Zeus). Prometheus bleibt auch unter Folter seinen menschenfreundlichen Grundsätzen treu, auch wenn ihn Besucher an seinem Felsen überreden wollen, opportunistisch zu sein, um frei zu kommen.
Überhaupt helfen in diesem Stück die geretteten Menschen ihrem Retter nicht, sondern unterwerfen sich der neuen Macht. Schon zu Beginn waren Mitläufer und Handlanger der Diktatur aufgetreten (die Personifizierungen "Macht" und "Gewalt") und der Schmiedegott Hephaistos (Alexander Wagner) hatte Prometheus zwar nur widerwillig an den Felsen geschmiedet, aber aus Angst vor Zeus doch gehorcht. Wenn er behauptet "Das Handwerk trägt hier keine Schuld!", ist die fordernde Frage im Raum, ab wann eine Handlung und Haltung eine Diktatur unterstützt?
Als einzige Frau und als Mensch kommt Io vorbei und erzählt von einer klassischen #Metoo-Geschichte, dass sie sexuell bedrängt worden sei, von Zeus, der seine Macht perfide ausnutzen wollte. Aber anstatt mit ihr solidarisch zu sein, hat die oberste Frau, Hera, sie aus Eifersucht in eine Kuh verwandelt. Judith Bopp spielt sie expressiv gebeutelt und sie spricht auch den Chor, der - dadurch weiblich - die Männerwelt und -herrschaft befragt.
Kämpfe zwischen Göttern und Titanen, eine menschliche Prinzessin als Kuh und ein flüssiger Meeresgott, der auf einem Flügelross vorbeikommt: Das alles kann einem - bei aller Modernität der Inhalte - sehr fremd vorkommen. Dass es aber nicht befremdend wirkt, leigt daran, dass Schöcker alles ohne Fantasy-Elemente auf die Bühne gebracht.
Bei Wein oder
Wasser - das Stück bleibt aufrüttelnd
Es treten Figuren aus Fleisch und Blut auf, sanft antikisierend gekleidet, aber archaisch, wie rituell mit weißer Farbe zeichenhaft geschminkt. Auch für die Athener der frühen Klassik im Dionysostheater spielte ja alles bereits in mythisch entrückter Vorzeit. Schöcker hat noch einen Musiker in die Szenen gesetzt: Ardhi Engl an der oriantalischen Laute, der Oud, was der Inszenierung des harten Dramas noch einen warmen Unterton gibt.
So ist dieses erste Stück der neuen Ära im Innenhof der Glypthotek anspruchsvoll ohne bildungsbürgerliche Überheblichkeit. Das ganze kann mit Wein dionysisch genossen werden oder ungetrübt mit klarem Wasser analysiert werden. Am besten beides!
bis Mitte September, täglich außer montags, Innenhof der Glyptothek, 35,20 Euro (inkl. Wein, Wasser, Brot) Studenten und bis 22 Jahre: 21,20 Euro. Immer dienstags freier Eintritt und Zahlung, was man für richtig hält.
Diesem Samstag startet das zweite Stück: "Iphigenie in Aulis". Beide werden im Wechsel gespielt