"akte"-Star Ulrich Meyer: "Das läuft schief in unserem Land"
Seit fast 20 Jahren ist Ulrich Meyer mit seiner Sendung "akte" auf Sat. 1 zu sehen. "Aus dieser langen Erfahrung heraus wollten wir einen Blick auf den inneren Zustand Deutschlands werfen", erzählt er im Interview - herausgekommen ist ein Buch darüber, was in unserem Land schief läuft.
Berlin - Seit 20 Jahren moderiert Ulrich Meyer (58) seine Sendung "akte" auf Sat.1. "Weit über 100.000 Mails, Faxe und Briefe" habe die Redaktion in dieser Zeit bekommen, berichtet er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Dazu gibt es jetzt das Buch "Das läuft schief in unserem Land" (Riva, 288 Seiten, 19,99 Euro). Dass wir nicht mehr Regeln, sondern Herz, Anstand und Verantwortung brauchen, wie schmerzlich es war, für den eigenen Tod vorzusorgen und was seine "akte"-Highlights aus den vergangenen zwei Jahrzehnten waren, erzählt Meyer hier.
Ulrich Meyer bei der Ice Bucket Challenge können Sie auf MyVideo noch einmal sehen
"Das läuft schief in unserem Land: Ein Plädoyer für mehr Herz, Anstand und Verantwortung" heißt das Buch, das Sie geschrieben haben: Was hat Sie dazu bewogen?
Ulrich Meyer: Am 4. Januar feiern wir den Tag, an dem unsere Sendung "akte" auf Sat.1 genau 20 Jahre läuft. Aus dieser langen Erfahrung heraus wollten wir einen Blick auf den inneren Zustand Deutschlands werfen. Es geht darum, was die Menschen erzählen, die sich alleine gelassen fühlen, die ohne Hilfe und Beistand sind. Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten weit über 100.000 Mails, Faxe und Briefe bekommen. Dadurch wissen wir, wo es in Deutschland rumpelt. Wir brauchen aber nicht mehr Gesetze und Regelungen, sondern ein bisschen mehr Nachdenken, Vorausdenken und Menschen, die Verantwortung übernehmen.
Sie sprechen in insgesamt 14 Kapiteln viele verschiedene Bereiche an: Arbeit, Banken, Versicherungen bis hin zur Politik. Was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Meyer: Früher hatten die Menschen Angst vor Räubern oder Einbrechern. Mittlerweile schlägt die Lastschrift-Mafia über das Telefon zu. Glückspiel-Abos werden so verkauft, Kontostände in beliebiger Höhe abgebucht. Die Menschen werden bei sich zu Hause betrogen, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür gesetzt zu haben. Das hat sich durch die vergangenen 20 Jahre unserer Sendung gezogen und erst jetzt hat sich hier in der Gesetzgebung etwas getan. Mittlerweile hat diese Abbuchungs-Mafia aber schon wieder neue Wege gefunden, um zuzuschlagen. Die Menschen fühlen sich hier alleine gelassen und das kann auch politische Auswirkungen haben: Wer weiß, wen die das nächste Mal wählen...
Sie machen in Ihrem Buch auch konkrete Vorschläge wie die Einführung der Wahlpflicht oder Schuluniformen. Haben Sie die Hoffnung, dass sich hier was ändert?
Meyer: Es kann immer nur in kleinen Schritten vorangehen: Jeder kann in seinem Umfeld mehr Herz zeigen, seine eigene Haltung hinterfragen und sich überlegen, welche Verantwortung er übernehmen kann. So unpopuläre Maßnahmen wie die bundesweite Einführung von Schuluniformen werden von oben wohl nie angegangen. Da muss der Anstoß von woanders kommen. Es kann nicht angehen, dass alleinerziehende Mütter, die zwei Kinder zu versorgen haben und in zwei Jobs arbeiten, sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob ihre Jungs die angesagtesten Sneakers brauchen. Solche Themen könnte man durch eine einfache Schuluniform vom Tisch wischen. Das lässt sich aber vielleicht auch ohne Ansage von oben regeln, wenn sich die Eltern einer Klasse zusammenschließen und sich einigen.
Haben Sie den Eindruck, dass in Deutschland heutzutage zu viele Leute ein so bequemes Leben haben, dass sie für sich selbst gar nichts ändern wollen?
Meyer: Das ist so, vielen Leuten geht es sehr gut. Das sind aber oftmals Menschen, die die Augen davor verschließen, dass es in Deutschland Millionen von Menschen gibt, die große Probleme haben. Die reichen Menschen könnten ihr Leben sicher noch mehr genießen, wenn man ihnen das Gefühl nahe bringt, dass sie nicht der neueste Luxuswagen glücklich macht, sondern wenn es ihren Mitarbeitern gut geht. Zeit und Aufmerksamkeit teilen, bedarf nicht allzu großen Aufwands.
Während die Diskussion um die Frauenquote gerade in vollem Gange ist, machen Sie sich eher Sorgen um das männliche Geschlecht...
Meyer: Mädchen sind heutzutage oft sehr clever und frech. Das Gefühl, dass sie dem nichts entgegenzusetzen haben, finden Jungs beängstigend. Gerade diejenigen, die sich nicht die nötige Bildung aneignen, um in dieser Welt bestehen zu können, können dadurch auf merkwürdige Gedanken kommen. Junge Männer wollen mitreden, viel Geld verdienen, angesehen sein. Aber bis zu 40 Prozent einer Altersgruppe haben nicht ansatzweise die Voraussetzungen dafür, diese selbst gestellten Ansprüche jemals umsetzen zu können. Wir müssen uns fragen, was wir mit diesen Männern machen, die dann auf die Nase fallen und sich womöglich extremen politischen Strömungen anschließen, weil sie sich als Verlierer dieser Gesellschaft sehen.
In Sachen Computer waren Sie ein Spätzünder, verraten Sie in Ihrem Buch, in dem es auch um Internet und Telefon geht. Wie viel Zeit verwenden Sie heute privat auf diese Dinge?
Meyer: Zu viel, würde ich sagen. Meine Handy-Abhängigkeit ist schon erheblich. Ich bin da aber schon besser geworden. Generell spreche ich aber mit Menschen lieber von Angesicht zu Angesicht. Computer benutze ich eigentlich nur zum Schreiben und Recherchieren, ich bin damit vertraut, lasse mich aber nicht unterjochen.
Sie sprechen in Ihrem Buch neben vielen unbekannten, ganz privaten Themen auch den plötzlichen Tod Ihres Bruders an. Ist der Tod das letzte Tabu unserer Gesellschaft?
Meyer: Es ist mit Sicherheit noch ein Tabu. Darüber unterhält sich keiner gerne und niemand macht sich gerne dazu Gedanken. Mir ist das bewusst geworden, als ein Anwalt auf mich zukam und mich gefragt hat, was mit meiner Frau und meinen Angestellten ist, wenn mir heute Abend etwas passieren würde. Da habe ich bemerkt, dass ich eigentlich überhaupt nicht vorgesorgt hatte. Meine Frau und ich haben das dann zusammen in Angriff genommen. Es war schmerzlich, aber wir waren froh, dass wir es erledigt haben.
Was bedeutet Weihnachten für Sie?
Meyer: Das hat für mich vor allem eine familiäre Bedeutung. Aber als Fest der Liebe und mit dem religiösen Hintergrund spiegelt sich in Weihnachten wie in keinem anderen Fest wider: Wenn man Herz, Anstand und Haltung zeigt, Vertrauen aufbaut, Verantwortung übernimmt, dann kann man Menschen auf eine andere Weise begegnen. An Weihnachten kommt man zudem einfach mal raus aus dem Alltag, hat geruhsame Tage. Wir haben keine eigenen Kinder, an Heiligabend laden wir zehn bis zwölf Freunde ein, meine Mutter und die Tante meiner Frau, die schon etwas älter sind, sind auch dabei. Wir essen und beschenken uns dann gegenseitig.
Nach dem Jahreswechsel feiern Sie dann das "akte"-Jubiläum. Was waren die Highlights aus den vergangenen 20 Jahren für Sie?
Meyer: Jeder wird sich wohl noch an die Geschichte "Kokain im Bundestag" erinnern. Vor zehn Jahren war das mitten in der Kokain-Debatte um Christoph Daum die Sensation. Was mich auch immer wieder anrührt, ist die Geschichte einer Frau, über die wir berichtet haben: Sie hatte einen Motorschaden an ihrem Auto, während sie gerade auf dem Weg nach Hause war, weil dort ein Brand ausgebrochen ist. Am Ende ist das ganze Haus abgebrannt. Nach der Sendung haben die Zuschauer so zahlreich reagiert - und zwar ohne den Umweg über unsere Redaktion - dass sie so viel Hilfe hatte, dass sie die Leute schon abwimmeln musste.