Achtet die Meister!
Der Tenor René Kollo hält den Streit um Christian Thielemann für Sommerlochtheater und verteidigt die Forderungen des Dirigenten gegenüber der Stadt München
Man verzeihe mir, wenn ich, – ein Künstler –, mich auch noch in dieses politische bayerische Sommerlochtheater um Christian Thielemann einmische. Als Bayerischer Kammersänger und ehrenvoller Träger des Bayerischen Verdienstordens habe ich doch sozusagen ein bayerisches Recht darauf.
Wollen wir nicht hoffen, aber ganz aus dem Kopf geht es mir nicht, dass die politischen Hintergründe für dieses Vorstadttheater alte preußisch-bayerische Biergeschichten sind. Falls das zutrifft, sollten sich die Politiker daran erinnern, dass Bayern gar nicht mehr existieren würde, wenn nicht Friedrich der Große die österreichische Kaiserin Maria Theresia in die Schranken verwiesen hätte. Die Dame in Wien hatte damals nämlich einen Mordsappetit auf Bayern. Voilà!
Außerdem gibt es seit 1871 keine Preußen mehr, denn die Kaiserkrönung galt für ganz Deutschland. Also ist Thielemann gar kein Preuße! Das sollte ein bayerisches Herz doch erfreuen. Na, und sowieso nehme ich an, das es keinen solch politisch chauvinistischen Hintergrund gegeben hat und nur mir diese Gedanken an weiß-blaue Hofbräuhaus-Diskussionen in dieser Affäre immer wieder im Kopf herumwühlen.
Thielemann macht Hintergründe hörbar
Was will Christian Thieleman so Außergewöhnliches? Er will nur, was ihm als Orchesterleiter sowieso zusteht. Und, um es klar zu sagen, was heute dem ganz und gar einzigartigen Orchesterleiter zusteht. Ich kenne jedenfalls keinen anderen Dirigenten, der sozusagen dramaturgisch dirigiert und nicht nur Töne aneinander reiht, sondern Hintergründe hörbar macht.
Darin ist er heute einzigartig. Und dass damit ein besonderer Orchesterklang einhergeht, der diese Gedanken zum Klingen bringen kann, versteht sich. Dass Christian Thielemann diesen von ihm aufgebauten Orchesterklang nun nicht von manchen minderbegabten Dirigenten zerstören lassen will, sollte man doch auch begreifen können. Also, was ist daran so außergewöhnlich schlimm, dass es in München zu solch einem unverständlichen Gezeter kommt?
Es gibt viele nette Kerle, aber nur wenige große Begabungen
Ich dachte, nur Berlin sei provinziell. Aber München hat da in den letzten Jahren kräftig aufgeholt. Das war früher anders. Ich darf sagen, dass ich über 35 Jahre mit den größten Dirigenten eng zusammengearbeitet habe. Man kann mir glauben, wenn ich sage, dass ich weiß, wer eine wirklich künstlerische Potenz hat. Christian Thielemann steht heute völlig einzigartig auf den Bühnen dieser Welt.
Was dabei am wenigsten zählt, ist das, was heute wohl am meisten zählt: Ob er nämlich ein richtig netter Kerl ist. Nette Kerle gibt es aber so viele wie Sand am Meer. Große Begabungen sind leider immer etwas schwierig. Wobei sein Wunsch, zu wissen, wer sein Orchester dirigiert, ja gar nichts Schwieriges an sich hat, sondern ein in seinem Vertrag vorgesehener Passus ist.
Wozu also der ganze politische Theaterdonner? München hat seinen Weggang von München ja wohl schon beschlossen. Man gestatte mir trotzdem, wenn wir schon beim Theaterdonner sind, noch einen kleinen theatralischen Aufruf: Da ich weder den wissenschaftlichen noch den journalistischen Usancen verpflichtet bin, etwas zu sagen oder nichts sagen zu dürfen, darf ich es sicher auch mit einem Wagner-Zitat sagen: „Verachtet mir die Meister nicht!“
So viele wirkliche Meister haben wir nämlich nicht mehr.
René Kollo
Darum geht es
Der Münchner Stadtrat hat am 22. Juli fast einstimmig beschlossen, Thielemanns Vertrag nicht über die Saison 2010/2011 hinaus zu verlängern. Kernpunkt des Streits war das Letztentscheidungsrecht über die Programme von Konzerten, die nicht vom städtischen Generalmusikdirektor selbst geleitet werden. Es soll nach dem Willen der Münchner Philharmoniker dem Intendanten Paul Müller übertragen werden. Dies will Thielemann nicht akzeptieren. Er liebäugelt zwar auch mit der Staatskapelle Dresden, ist aber für München noch verhandlungsbereit.
RBR