Ach, die guten alten Zeiten
Vier Tage, 31 Konzerte und sieben Spielstätten: Das Jazz-Festival von Saalfelden blickt auf vergangene Revolten.
Am Fuße der Berge stand über das vergangene Wochenende eine Zeitmaschine mit Shuttle-Service in die späten 60er und frühen 70er Jahre. Wer ein Ticket für das 29. Jazz Festival im österreichischen Saalfelden gelöst hatte, der nahm Teil an einem Trip, auf dem einem Männer mit Pferdeschwänzen und wuchtigen Schnurrbärten, Free-Jazz-Pioniere, Krautrock-Dilettanten und unerschrockene Fusionierer begegneten. Die Reisen in die Welt des Auf- und Umbruchs führten zu manchem Jetlag. Aber sie setzten auch schöne Erinnerungen frei an Zeiten, in denen Widerstand, politisches Bewusstsein oder Experimentierdrang sich ungefiltert in Klängen manifestierten.
Zurück in die Sixties
Der Trompeter Dave Douglas erinnerte etwa an Don Cherrys 1966 entstandenes Werk „Symphony For Improvisers“ und ließ das Publikum den freien Geist spüren der damals herrschte, als Traditionen bestenfalls zitiert wurden, als man respektlos über Normen und Prinzipien hinwegmusizierte.
Die 60er waren auch die Zeit, in denen Visionäre wie Miles Davis Jazz und Rock kollidieren ließen. Der Trompeter Wadada Leo Smith nahm sich in Saalfelden dessen „Jack Johnson“ vor und scheiterte, weil sich nie diese Spannungen aufbauten, die die Musik damals voranbrachten. Smith hätte sich das Konzert des norwegischen Saxofonisten Håkon Kornstad anhören sollen. Mit seinem Quartett zeigte der, dass sich die Vergangenheit ungezwungen mit der Jetztzeit kombinieren lässt.
Der Groove stimmt
Mit dem Wissensstand eines weltoffenen Musikers von heute klang er, als hätten sich Miles Davis und Gato Barbieri verbündet und schon mal vorweggenommen, was vier Jahrzehnte später passieren würde. Der Schlagzeuger aus Kornstads Gruppe, Thomas Strønen, beherrscht die Grooves der Jazzgeschichte, ist aber auch mit der Klangwelt vertraut, die sich aus Bits und Bytes kreieren lässt. In mehreren Projekten zeigte er sein großes Können. In der Gruppe Food drapiert er mit großem Geschick real getrommelte Figuren und unwirkliche, digitale Patterns um eine Endlosschleife herum, die den Zuhörer direkt in die Trance schickt. So faszinierend wie bedrohlich klang diese Musik.
Düstere Kulturkritik
Düster war auch sonst vieles von dem, was an vier Tagen den malerischen Ort im Pinzgau beschallte. Craig Taborns verwunschenes Projekt „Junk Magic“ etwa. Oder die freien Improvisationen von „Buffalo Collison“. Oder „Clones and False Prophets“ des Musikers Badawi – eine leider freudlose Kollektiv-Improvisation, die nach reinstem Kulturpessimismus tönte; oder die Band Heaven And..., die ein völlig humorloses, schlecht gemucktes „Krautrock meets Captain Beefheart“ in den Saal dröhnte.
Da wirkte es richtig befreiend, wenn sich eine Truppe wie die Jerseyband nicht ganz so ernst nahm und satanisches Death-Metal-Gegröhle mit vertrackten Zappa-Wendungen und Bläsersätzen irgendwo zwischen Tower of Power und den Itchy Fingers darbot. Belustigt sein durfte man auch von der posaunenden Slide Family, die mediterranen Schmelz mit urbanem Gedonner einte und am Ende sogar Reggae spielte.
Aufgeräumt und überraschend funky war das, was Michael Riessler in seinem „Big Circle“ kreiseln ließ. Und einmal gab es mit dem Dave Holland Sextett gar „richtigen“ Jazz: klar strukturiert und doch frei, akustisch, swingend, fordernd, mitreißend.
Ssirus W. Pakzad