Abwrackprämie für den Frack?
Bertrand de Billy über die Berufskleidung des Dirigenten, den Repertoirebetrieb in der Oper und die drohende Auflösung des von ihm geleiteten Radio-Symphonieorchesters Wien
Bei Münchens Opernfestspielen stand der Vielseitige in Massenets „Werther“, Donizettis „Lucrezia Borgia“, Verdis „Otello“ oder der Strauss-Oper „Ariadne auf Naxos“ am Pult. In Salzburg dirigiert Bertrand de Billy am Montag in der Reihe „Kontinent Varèse“ dessen „Amériques“ sowie Werke von Schönberg und Richard Strauss.
AZ: Herr de Billy, warum dirigieren Sie ohne Frack?
BERTRAND DE BILLY: Eigentlich bin ich konservativ. Aber ich finde, Dirigenten im Frack erinnern an einen Pinguin. Vor drei Jahren wurde mir in einem New Yorker Geschäft, wo ich bisher meine Fräcke erwarb, ein neuer Anzug vorgeschlagen. Ich fühlte mich darin wohl, meiner Frau gefiel er auch. Als ich so zum ersten Mal in der Wiener Staatsoper dirigieren wollte, habe ich vorsichtshalber den Direktor Ioan Holender gefragt, ob es erlaubt sei. Er sagte nur: „Sehr elegant, bitte machen Sie!“
Ist der Abschied vom Frack nur eine modische Frage?
Soweit ich sehe, ist München das einzige Opernhaus, in dem das Orchester jeden Abend im Frack spielt. Die Musiker der Wiener Staatsoper tragen ihn nur in Premieren. Aber die Kleidung kann auch ein Ausdruck der Mentalität und des Umgangs sein.
Der Dirigent bleibt doch immer die Nummer eins.
Sowieso! Aber ich muss nicht jeden Abend zeigen, dass ich Macht habe. Mir kommt dieses Image zunehmend altmodisch vor. Aber das ist nicht neu: Schon Karajan trat im Rollkragenpullover und einer Stehkragenjacke auf.
Wie heißt eigentlich der Anzug, den Sie tragen?
Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ihn das Geschäft auch an andere Kollegen verkauft hat. Man kann die Farbe des Gilets wechseln. Ich habe „Poèmes pour Mi“ von Boulez mit der blauen Weste dirigiert und danach Schönbergs „Pelleas“ in Weiß. Im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins trage ich Gold, zum Konzerthaus passt Grau. Aber ich habe noch nie so viel über diese Sache gesprochen wie jetzt.
Ist es schwer, in Repertoirevorstellungen der Bayerischen Staatsoper eigene Auffassungen durchzusetzen?
Kommt auf die Einstudierung an! Wenn die Arbeit des Kollegen gut war, wie bei der „Ariadne“, kann man alles bekommen. Im gegenteiligen Fall bin ich nur Polizist. Bei Massenets „Werther“ habe ich mit Einverständnis der Musiker eingerichtete Noten mit bestimmten Phrasierungen und Bogenstrichen verwendet.
Warum will der ORF auf das von Ihnen geleitete Radio-Symphonieorchester Wien verzichten?
Schon seit 1996 gibt es keine Big Band und keinen Chor mehr. Damals wurde das Orchester bereits auf 96 Musiker verkleinert. Seit ich 2002 als Chefdirigent kam, ist von Ausgliederung die Rede. Das wäre der Anfang vom Ende: Die Stadt oder der Staat wollen nicht einspringen, private Partner sind nicht in Sicht.
Geht es um viel Geld?
Mit der Ausgliederung würden 1,5 Millionen Euro eingespart. Das sind Peanuts. Es geht nicht darum, ob sich der ORF uns leisten kann, sondern ob es sich dieses Land leisten kann, auf das Radio-Symphonieorchester zu verzichten. Dann wäre Österreich neben Portugal das einzige Land ohne Rundfunkorchester. In Deutschland gibt es 14!
Wie ist das Profil des Orchesters?
Die Neue Musik in Österreich braucht dieses Orchester. Wer spielt die sonst? Die Wiener Philharmoniker und Symphoniker gewiss nicht. Mahler hat uns nicht nötig, Olivier Messiaen ein bisschen, Henri Dutillieux schon. Nach unserem Zyklus seiner Orchesterwerke wusste jeder, dass der 93-Jährige eine zentrale Gestalt der französischen Musik des 20. Jahrhunderts ist. Wir haben mit solchen Programmen neue Abonnenten hinzugewonnen, während andere Orchester über nachlassendes Interesse klagen.
Wie wird der Konflikt Ihrer Ansicht nach ausgehen?
Ich fürchte, der ORF hat mit Auflösung gedroht, damit am Ende die Ausgliederung wie eine Rettung aussieht.
Robert Braunmüller
Unter www.onlinepetition.at werden Unterschriften für das RSO Wien gesammelt. De Billy dirigert am 10.8. in der Felsenreitschule. Karten: Tel. 0043 662 80 45 500
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