Abtauchen in Neverland
Der Punkveteran Schorsch Kamerun über seine Version von „Peter Pan“ in den Kammerspielen und die Gegenwart seiner Gegenbewegung
Wenn der Advent näher rückt, erscheint auf einer Münchner Bühne unweigerlich eine Version von „Peter Pan“. Ab Sonntag wagen die Kammerspiele einen Versuch: Im Neuen Haus hat Schorsch Kameruns Musical nach den Geschichten von James M. Barrie Premiere.
AZ: Herr Kamerun, was macht diese Figur für Theaterleute so anziehend?
SCHORSCH KAMERUN: In der Geschichte kommen Piraten und Indianer vor. Das ist immer gut. Wendy ist eine Stellvertreterfigur, mit der sich Kinder identifizieren können: Sie kommt aus einer bürgerlichen Familie, trifft Peter Pan und geht mit ihm ins Neverland. Und damit wird es für uns alle interessant: Tauche ich in diese Fantasiewelt ein, um forever young zu bleiben, oder reiße ich mich wieder los.
Neverland hieß doch auch die Villa von Michael Jackson.
Popkünstler hat Peter Pan immer fasziniert. Jackson hat sich den ganzen Blödsinn nachbauen lassen und ist in Neverland hängengeblieben. In der Geschichte gibt es noch diesen anderen Vogel, Kapt‘n Hook, eine Art Karl Lagerfeld. Er missachtet die Vergangenheit und nimmt das Alter ebensowenig an wie die neue Technik: Lagerfeld hat kein Handy. Er ist beim Fax stehengeblieben.
Weil es ein Märchen ist, kommt auch eine Fee vor.
Die sieht nur, wer an sie glaubt. In „Peter Pan“ geht es um Projektionen und Vorstellungskraft, um die Frage, welche der vielen Angebote um uns herum wirklich interessant sind. Deshalb gehört auch diese Inszenierung zu meinem dreimonatigen Projekt „No info“, mit dem ich im Neuen Haus Strategien gegen die Informationsflut auslote.
Ab welchem Alter raten Sie zu Ihrem „Peter Pan“?
Wir sagen ab neun, aber es waren auch schon jüngere Kinder in den Proben. Manches ist etwas lauter, ohne zu verschrecken. Ich habe keinen Bock auf Werbung in eigener Sache, trotzdem: Es werden nicht nur blöde Piratenlieder gesungen, sondern auch Texte, die Erwachsenen gefallen.
Obwohl Sie Musiker sind, sind die Lieder diesmal nicht von Ihnen.
Das wäre neben der Inszenierung nicht zu schaffen. Aber ich kenne die Musiker schon lange. Und ich habe ein Lied für Wendys Vater gemacht, dessen Thema Aktien und Effekten sind.
Ist das Ihr Beitrag zur Finanzkrise?
Ich will keine Häme verbreiteten, als hätte ich es immer schon gewusst. Es ist ja nicht so, dass von der Krise die Schicht profitiert, die unter dem Neoliberalismus gelitten hat. Ich habe nicht das Gefühl, dass das System strauchelt – leider.
Passt ein Märchen zu Ihrer Herkunft vom Punk?
Ich habe „Peter Pan“ mit vollem Spaß gemacht und musste mich nicht verdrehen, weil ich an den Widerspruch der Form glaube. Deshalb finde ich es interessanter, politische Inhalte in einem Stadttheater zu machen als in einer Volksküche. Punk funktioniert sowieso nicht mehr als radikale Geste. Er ist heute entweder etwas Jämmerliches in der Fußgängerzone oder supererfolgreicher Stadionrock wie bei den Toten Hosen.
War München jemals eine Punk-Stadt?
In der frühen Phase waren das Café Größenwahn oder Gruppen wie Marionetz wichtig. Später hat die Stadt geschwächelt. Dann wurde Techno stärker, aber da gab es immer wieder Überschneidungen wie DJ Hell, einen alten Punk-Vogel, oder den Mann vom Optimal-Plattenladen, der auch bei „No info“ mitmacht.
Der Punk lebt also weiter.
In Bayern gab es immer coole Freigeisttypen wie Herbert Achternbusch oder Sepp Bierbichler in Ambach. Den Land-anarchismus finde ich super. Entweder, du bist hier richtig schwarz oder sichtbar was anderes.
Robert Braunmüller
Premiere am Samstag, 8. 11., 20 Uhr, im Neuen Haus. Auch am 11. und 15. 11., Karten unter Tel. 54 81 81 81
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