Abheben und Teetrinken
Es geht steil nach oben. Hasenfüße sollten den Blick nach unten lieber meiden, wenn sie die Leiter hinauf klettern. Arkadien liegt schließlich auch nicht um die Ecke, da meint es Herr Fujimori direkt gut mit seinen Besuchern. Es geht schön der Reihe nach, im rundlichen Gehäuse, das im Garten der Villa Stuck wie ein Kugelfisch auf Stelzen thront, ist nur Platz für vier Leute. Und wer sich’s in diesem winzigen Wolkenkuckucksheim erst bequem gemacht hat, will so schnell nicht wieder hinunter.
Damit trifft Terunobu Fujimori den Nerv einer Zeit, die vor lauter Handy-Facebook-Tingeling kaum noch zur Ruhe kommt und sich im tiefsten Inneren nach Rückzug und Ruhe sehnt. Und was eignet sich da besser, als ein rundlicher Hohlraum, eine abgeschiedene Höhle?
Der japanische Architekturhistoriker, der erst im Alter von 44 Jahren anfing, mit dem Museum für eine alteingesessene Priesterfamilie eigene Entwürfe umzusetzen, fällt damit aus sämtlichen Rastern. Schon weil seine Gehäuse so gar nichts aus der Baukunst quer durch die Jahrtausendezitieren und bewusst all das ignorieren, was in Stilfibeln gelandet ist. „Wenn ich merke, dass ich beim Planen irgendetwas kopiere, höre ich sofort auf”, erzählt Fujimori von seiner Arbeit. Und doch drängen sich – gerade bei den Teehäusern – zuweilen vertraute Bilder auf. Bilder, die zwischen fliegenden Suppenschüsseln, Unterseebooten, prähistorischen Pfahlbauten, Wespennestern und Pieter Bruegels wunderbar schrägen Fantasiewelten pendeln.
Das München der Zukunft? Eine Gemüsestadt!
In seiner Heimat wird der 65-Jährige dafür gefeiert, 2006 hat er Japan auf der Architekturbiennale in Venedig vertreten, und sein berühmter Kollege Toyô Itô bescheinigt ihm höchste Originalität. In unseren Regionen ist man eher zögerlich. Umso schöner, dass dieser Exot nun in der Villa Stuck mit einer ersten Werkschau auf deutschem Boden vorgestellt wird. Und dazu gehört eben auch das eingangs erwähnte „Walking Café”, das Fujimori zusammen mit Handwerkern, TU-Studenten und Kindern gebaut hat. Das Holz fürs Häusl auf beräderten Beinen wurde vom Meister selbst geschlagen. Nicht irgendwo, sondern im Forstenrieder Park.
Überhaupt das Material: Sämtliche Spielereien rund um die weltweit gepflegte Glas-Stahl-Beton-Manie und diverse Hightech-Innovationen haben in dieser Baukunst nichts zu suchen. Möglichst natürlich soll’s sein, am besten archaisch, deshalb sind Rinde, Lehm und unbehandeltes Holz die Baustoffe der Wahl. Fujimori bevorzugt eine raue Architektur, wie er sagt, keine glatte. Nicht selten verschwinden Dächer unter einem idyllischen Graspelz, sprießen Löwenzahn oder Schnittlauch zwischen Schindeln und Latten der Sonne entgegen.
Erst recht nach der Apokalypse, bedingt durch den globalen Klimakollaps, funktioniert bei Fujimori nichts mehr ohne Grün. Das deutlich vor Fukushima entworfenes Modell eines visionären Tokios im Jahr 2107 ist geprägt von einer intensiven Symbiose zwischen Stadt und Natur. Sein München der Zukunft wird mit bewohnbaren Spargelstangen, Bananen und Karotten sogar zur Gemüsestadt.
Das mag manchem reichlich naiv erscheinen, wer sich allerdings mit dem freundlich lächelnden Mann unterhält, merkt bald, dass Fujimoris Œuvre extrem reflektiert ist. Bei aller humorvollen Leichtigkeit wird nichts dem Zufall überlassen. So wie bei einer japanischen Teezeremonie, die er wenigstens in seinen Mini-Häusern von ihrer unsäglichen Strenge befreit hat.
Bis 16. September 2012 im Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, Di bis So 11 bis 18 Uhr, Katalog (Hatje Cantz) 35 Euro