Abgleiten in die karibische Nacht

Grace Jones mischt die verzagte Pop-Welt auf mit ihrem neuen Album „Hurricane“
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Grace Jones mischt die verzagte Pop-Welt auf mit ihrem neuen Album „Hurricane“

This is my voice, my weapon of choice.“ Nach 19 Jahren sind das ihre ersten Worte auf ihrem neuen Studioalbum. Und dann fährt ein Gitarrenriff ab, dessen Schwanz zur elektrischen Schlange mutiert. Grace Jones, die exzentrische Performerin, ist zurück. „Hurricane“ heißt ihr Album.

Die dunkle Haut wie polierter Kunststoff. Die Stimme eine absurde Mischung aus Eiseskälte und Alt-Lage. Grace Jones zu hören, ist die Konfrontation mit dem Fremden. Genau das lässt sie nach zwei Jahrzehnten mit der Unangreifbarkeit eines Cyborgs aus der Disco-Epoche wieder auftauchen. „I’m a man eating maschine“, flirrt ihre Stimme in „Corporate Cannibal“. Grace sinniert über das süße Fleisch. Ob mechanisch, elektronisch oder jetzt digital: Sie ist immer noch ein „slave to the rhythm“ mit zähnefletschendem Masochismus und gleichzeitig die Sado-Priesterin vom Fließband. Man spürt, wie lange die Zeit der geschlechtswandelbaren Pop-Kunstfiguren schon dem harmlosen Spielen mit Images gewichen ist.

Es ist die Kälte der Konsequenz, mit der die Figur Grace Jones unvermutet zurück in eine immer verzagter wirkende Pop-Szene schießt. Wer sich diese CD herunterlädt und auf die Booklet-Bilder verzichtet, ist selber schuld. Denn die Musik ist nur ein Teil der Grace-Jones-Performance.

Die Rhythmsection ist mit dem unschlagbaren Team Sly Dunbar und Robbie William Shakespeare besetzt und – „Well Well Well“ – hier ist der Reggae nicht weit. Von Brian Eno ließ Grace sich musikalisch beraten und an den Keyboards unterstützen. In die Insektenstimmen einer karibischen Nacht gleitet sie im Titelsong „Hurricane“ wie eine funkgesteuerte Fledermaus. Im Hintergrund flüstert Tricky, der unheimliche, weggeschossene TripHoper aus Bristol. „Sunsetsunrise“ fernab vorsichtiger Weltverbesserergedanken, singt Jones über eine Welt, die sich Menschen teilen müssen, die alleine lachen und alleine sterben. Der Bass pumpt mit eigentlich nur zwei Noten Blut durch den Song. Natürlich hat die Maschine eine Seele, sie wurde ja von Menschen programmiert.

Christian Jooß

Grace Jones: „Hurricane“ (Pias/Wall Of Sound), VÖ 7.11.

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