60. Todestag von Marylin Monroe: Wunder der Unsterblichkeit

Vor 60 Jahren starb Marilyn Monroe mit 36 Jahren. Aber sie bewegt uns – erklärlicherweise – noch immer.
von  Adrian Prechtel
"Ich will alt werden ohne Face-Lifts. Ich will die Courage haben, loyal zu dem Gesicht zu sein, das ich gemacht habe", erzählt sie dem Fotografen Bert Stern kurz vor ihrem Tod.
"Ich will alt werden ohne Face-Lifts. Ich will die Courage haben, loyal zu dem Gesicht zu sein, das ich gemacht habe", erzählt sie dem Fotografen Bert Stern kurz vor ihrem Tod. © Bert Stern/Taschen-Verlag

Es war noch dunkel, als um 4.25 Uhr Pacific Time im Polizeirevier von Brentwood, Los Angeles das Telefon läutete: "Miss Monroe ist tot."

Als kurze Zeit später die Beamten im 12305 Fifth Helena Drive eintreffen, liegt sie da: nackt in ihrem Schlafzimmerbett, der platinblonde Engel, das Golden Girl, ein erotischer Traum – bis heute. Good-bye, Norma Jeane.

Monroes plötzlicher Tod warf Fragen auf

Der Totenschein lautet auf "wahrscheinlich Selbstmord", durch Tablettenmissbrauch. Aber zu viele Ungereimtheiten, Widersprüche und dunkle Stellen über die Geschehnisse in der Nacht vom 4. auf 5. August 1962 sind ans Licht gekommen. Selbstmord? Die Zeit vor ihrem Tod war Marilyn Monroe voller Tatendrang gewesen. Noch im Juni hatte sie in einer dreitägigen Sitzung für die Vogue posiert: das berühmte, später so genannte "Last Sitting" entstand.

Jung sterben erleichtert makabererweise, "unsterblich" zu werden. Und Mordgerüchte heizen Fantasien weiter an: Die US-Regierung habe sie beseitigt, um die Affären mit J. F. und Robert Kennedy zu vertuschen. Oder die Theorie vom Mafia-Mord als Racheakt, weil Robert Kennedy als Justizminister gegen die "ehrenwerte Gesellschaft" ermitteln ließ.

Monroe: Mit 36 auf der Höhe ihres Könnens

Und die These vom Auftragsmord der CIA, um dem liberalen Präsidenten JFK zu schaden? Für all das gibt es keinerlei Beweise. Wie oft ist die Wahrheit wohl banaler, aber nicht weniger tragisch: Die Frau, die wie viele Hollywoodgrößen Psychopharmaka in Mengen schluckt, von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln abhängig ist, mehrfache Entgiftungskuren hinter sich gebracht hat, ist an ärztlichen Kunstfehlern gestorben.

Denn viele Umstände beim Eintreffen der Polizei – wie das abgezogenen Bett und die Bettwäsche in der Badewanne – sprechen dafür, dass Marilyn Monroe Stunden zuvor bewusstlos entdeckt worden war und ihr Psychiater und ihr Internist vergeblich versucht hatten, Marilyn Monroe wiederzubeleben, nachdem sie ihr unabhängig voneinander Medikamente verschrieben hatten, die zusammen tödlich wirkten. Ein trauriger, unnötiger Tod einer Frau, die mit 36 Jahren auf der Höhe ihres Könnens und endlich stark genug war, Dummblondchenrollen abzulehnen.

Monroe kannte ihren Vater nicht

Marilyn Monroe wurde am 1. Juni 1926 als Norma Jeane Baker in L.A. geboren. Für ihre Mutter, die viele Jahre in Nervensanatorien verbrachte, ist sie das dritte Kind. Marilyn Monroe gelang es ein Leben lang nicht, sich darüber Gewissheit zu verschaffen, wer eigentlich ihr Vater war. Und es ist kein Zufall, dass das Kind ohne Vater, Marilyn, alle ihre Ehemänner "Daddy" nennen wird. Her "Heart belongs to Daddy", den sie nie hatte, egal, ob es der Nachbarsjunge James Edward Dougherty ist, den sie mit 16 heiratet, um nicht erneut in einem Waisenhaus zu landen, oder Baseballstar Joe DiMaggio oder Amerikas Linksintellektueller und dritter Ehemann, Arthur Miller.

Marilyn Monroe bewirbt sich mit 19 Jahren bei der Blue Book Agency. Die Akte vermerkt: "1,65 m, 107 Pfund, 91-61-86, Größe 38, Haarfarbe mittelblond, zu lockig, Bleichen und Dauerwelle empfohlen." Einer ihrer ersten Aufträge mit Modeaufnahmen endet bereits am zweiten Tag. Begründung: "Zu sexy; lenkt von den Kleidern ab." Aber schon 1946 macht Norma Jeane Probeaufnahmen bei der 20th Century Fox. 1947 ist sie mehrmals auf Magazin-Titeln. Sie nimmt den Mädchennamen der Mutter an: Monroe. "Marilyn" wird vom Broadwaystar der 20er, Marilyn Miller, übernommen.

"Wenn man mit so etwas wie Sex-Appeal geboren wird, kann man sich entweder davon kaputtmachen lassen oder es ausnutzen", sagt Marilyn Monroe.

Abhängigkeiten auf verschiedenen Ebenen

Aber tragischerweise gilt für sie beides. Und in dem unlösbaren Spannungsdreieck aus verletztem Kind, dem Sexidol-Image und dem zunehmenden Wunsch, als Schauspielerin anerkannt zu werden, entsteht eine psychische und physische Abhängigkeit von Männern, Schauspiellehrern, Psychologen und Ärzten.

Mit Alkohol, Drogen und Medikamenten versucht Marilyn Monroe, das Gefühl der Verlassenheit zu unterdrücken, das Empfinden, wertlos und ungeliebt zu sein. Gleichzeitig will sie damit auch das Unechte ihres Starseins zerstören. "Ein Sexsymbol wird zu einer Sache. Und ich hasse es, eine Sache zu sein", beklagt sich Marilyn Monroe, um im hinzuzufügen: "Aber wenn ich schon das Symbol für irgendetwas sein muss, dann ist mir 'Sex' lieber als alles andere."

Nach kleineren Filmrollen entsteht 1949 der berühmte Pin-up-Kalender, der sich Millionen Mal verkauft. Die Bilder tauchen 1953 in der ersten "Playboy"-Ausgabe wieder auf. Dann, nach Filmerfolgen wie "Niagara", "Blondinen bevorzugt", "Wie angelt man sich einen Millionär?", gründet Marilyn Monroe eine eigene Produktionsfirma. Sie will besser verdienen und sich die Rollen selbst aussuchen. Und sie zieht nach New York, wo sie Schauspielunterricht an der Schule von Lee Strasberg nimmt.

Der Trennungstermin mit Miller ist nicht zufällig gewählt

Marilyn Monroe beginnt eine Psychoanalyse, schreibt Gedichte und begegnet Arthur Miller. Gegen die sexuelle Projektion ihrer Umgebung setzt sie jetzt ihren Intellekt. Sie liest den "Ulysses" von James Joyce, Shaw, Keats, Dostojewski. Marilyn verteidigt ihren Mann gegen die hexenkesselartige Kommunisten-Hysterie der McCarthy-Zeit.

Hatte Miller einst noch gesagt, "sie besitzt eine angeborene Natürlichkeit, ist ungeheuer warmherzig. Wer mit ihr zusammen ist, will nicht mehr sterben", so ist dennoch die Beziehung von Anfang an in einer Schieflage. Statt seiner tablettensüchtigen und labilen Frau Halt zu geben, ist Miller selbst in einer Schaffenskrise.

Kurz nach den Dreharbeiten von "The Misfits" lassen sich Monroe und Miller am 20. Januar 1961 scheiden. Kein zufälliger Termin. Die Amtseinführung von John F. Kennedy am selben Tag soll den Presserummel verringern.

Im Februar '61 werden Marilyns Depressionen so schwer, dass sie gegen ihren Willen in die geschlossene Abteilung des New York Hospitals eingeliefert wird. Ihr Freund und Ex-Mann Joe DiMaggio holt sie raus. Marilyn braucht Minuten, um sich einen Weg durch die Reporterschar die wenigen Meter zum Auto zu bahnen.

Ihr letzter Auftritt im Madison Square Garden

DiMaggio bringt Marilyn in eine Erholungsklinik und fährt anschließend mit ihr in den Urlaub. Die Dreharbeiten zu "Something's Got to Give" beginnen, ein Film, den die Monroe nur aus Vertragsdruck mit der Fox dreht.

Am 17. Mai unterbricht sie für einen Tag die Dreharbeiten, um nach New York zu fliegen. Im Madison Square Garden hat sie ihren letzten Auftritt.

 

Ihr Freund Peter Lawford, kündigt sie einer riesigen Menge als Geburtstagsüberraschung für Kennedy an: "Mr. President: The late Marilyn Monroe!" "Late", weil sie wie immer zu spät war? Oder schon das makabere Menetekel ihres bevorstehenden Todes? Und im hautengen Glitzer-Strasskleid singt sie ihr kindlich gehauchtes, auch selbstironisches "Happy Birthday".

Nur zwei Wochen später, ein anderer Geburtstag: Am 1. Juni 1962 wird Marilyn Monroe 36 Jahre und erleidet einen psychischen und physischen Zusammenbruch. Diagnose: Überdosis Dexamyl. Dr. Greenson hatte ihr während seines fünfwöchigen Urlaubs dieses Beruhigungs- und Aufputschmittel als Ersatz dagelassen.

Wenige Wochen später wird Marilyn Monroe tot sein.

Trotz allen Wissens: Ein Großteil über Marilyn Monroe ist und bleibt geheim

Aber ihre Unsterblichkeit ist auf die Rätselhaftigkeit ihres Todes gar nicht angewiesen. Denn es bleibt das eigentlich fantastische Geheimnis, warum diese Norma Jeane Baker uns bis heute von jedem Postkartenständer zuzwinkert, uns mit "I Wanna Be Loved by You" verführerisch in den Ohren klingt, als Pop-Art-Ikone Warhols gerade einen Auktionspreis von 195 Millionen Dollar erzielt hat, viele Yuppie-Wohnungen ziert und überhaupt – über alle Moden hinweg – als unsterbliches Objekt der Begierde, aber auch der Liebe erscheint.

Eine analytische Antwort könnte lauten: Keiner anderen Frau ist es so umfassend gelungen, Projektionsfläche aller – sich eigentlich widersprechenden – nicht nur, aber vor allem männlicher Wünsche gleichzeitig zu sein: Der Wunsch nach einer "heiligen Hure", einer Frau, die bei aller offenen Sexualität, für uns rein und verehrungswürdig bleibt, dabei in ihrer Kindlichkeit Beschützerinstinkte weckt und doch als eine Art Überfrau auch mütterliche Hilfsbereitschaft und Aufopferung ausstrahlt.

Wer hinter all diesen Fantasien Norma Jeane Baker wirklich war? Bei allem, was über sie geschrieben wurde oder was wir von ihr wissen und hinter den Rollen auf Zelluloid erahnen – ein elektrisierender Rest bleibt ihr großes Geheimnis. 

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