25-Prozent-Regel gilt weiter in der Kultur: Warten auf Godot

Vor nächster Woche will die Staatsregierung nicht mehr Publikum in die bayerischen Theater und Konzertsäle lassen. Kritik kommt aus dem Landtag und von Dieter Reiter.
von  Robert Braunmüller
Da kommt Stimmung auf: Das nach den Regeln der Staatsregierung besetzte Parkett des Herkulessaals bei einem Konzert des BR-Symphonieorchesters.
Da kommt Stimmung auf: Das nach den Regeln der Staatsregierung besetzte Parkett des Herkulessaals bei einem Konzert des BR-Symphonieorchesters. © Astrid Ackermann/BR

München - Dass kein ganz großes Ei gelegt werden würde, machte vorab die Besetzung klar. Staatskanzleichef Florian Herrmann, Gesundheitsminister Klaus Holetschek und Kultusminister Michael Piazolo traten vor die Presse, um die Entscheidungen des Kabinetts bekanntzugeben. 

Staatsregierung will Hü und Hott aus Lockerungen und Verschärfungen vermeiden

Wenn die vielkritisierte Regel aufgehoben worden wäre, nur 25 Prozent der Plätze in Theater, Konzertsälen und Kinos zu besetzen, hätte sich Ministerpräsident Markus Söder die seltene Gelegenheit nicht nehmen lassen, als Freund der Künste zu glänzen.

Staatskanzleichef Florian Herrmann (links) mit Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf dem Weg zur Pressekonferenz.
Staatskanzleichef Florian Herrmann (links) mit Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf dem Weg zur Pressekonferenz. © picture alliance/dpa

Vorerst bleibt alles, wie es ist. Und das erläuterte der Gesundheitsminister mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten: Es gibt neue Höchstwerte bei den Infektionen und eine dramatisch steigende Inzidenz. Auf der anderen Seite sinkt die Belegung der Intensivbetten. Noch bietet sich kein klares Bild, wie sich die Werte auf die Hospitalisierung Erkrankter und damit auf die Stabilität des Gesundheitssystems auswirken. Weil die Staatsregierung ein Hü und Hott aus Lockerungen und anschließenden Verschärfungen vermeiden wolle, gelte die 25-Prozent-Regel weiter, so Herrmann und Holetschek.

Die Staatsregierung hätte sich einige Kritik ersparen können, wenn die beiden Minister diese - nicht wirklich neue - Sicht der Dinge bereits vor einer Woche erklärt hätten. Da verteidigte der oberste Gastro- und Tourismuslobbyist Hubert Aiwanger in ihrem Beisein die Ungleichbehandlung von Kultur und Gastronomie mit fehlenden wissenschaftlichen Studien, die längst vorliegen.

25-Prozent-Regel bleibt für Kulturkonsumenten widersprüchlich 

Daran anschließende, zur Dämpfung des Ärgers abgehaltene Runde Tische sowie Andeutungen des Ministerpräsidenten und seines Kunstministers Bernd Sibler hatten Hoffnungen auf ein Ende der Ungleichbehandlung geweckt.

Denn so richtig es ist, die Entwicklung von Omikron zu beobachten, so widersprüchlich bleibt die 25-Prozent-Regel für schweigende, geimpfte und maskierte Kulturkonsumenten, wenn im Wirtshaus neben dem Theater maskenfrei über diese Ungleichbehandlung debattiert werden darf. Und auch die Frage, wieso Fußball an der frischen Luft derzeit in Bayern ganz ohne Publikum stattfindet, blieb unbeantwortet.

Herrmann und Holetschek baten darum, die Branchen nicht gegeneinander auszuspielen, deuteten aber eine baldige Gleichbehandlung von Kultur und Sport an. In einem Nebensatz wenigstens war davon die Rede, dass man von den Betroffenen erarbeitete Hygienekonzepte ernster nehmen müsse. Und über allen Aussagen glänzte der von beiden Ministern immer wieder angedeutete Silberstreif eines baldigen Übergangs von der pandemischen in die endemische Lage nach Omikron.

Münchens OB Reiter: "Zuschauerkapazität der Kultureinrichtungen erhöhen"

Das Abwarten der Staatsregierung stößt auf Kritik. "Es ist auch bei steigenden Infektionszahlen nicht nachvollziehbar, warum Theater, Kinos und andere Kultureinrichtungen, die über sehr gute Hygienekonzepte verfügen, weiter einer strengen 2G-plus Regelung unterliegen und dazu nur maximal 25 Prozent der Zuschauerkapazität nutzen dürfen, in der Gastronomie aber 2G ohne weitere Auflagen gilt", sagt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. © picture alliance/dpa

"Ich hielte es für absolut vertretbar, zumindest die Zuschauerkapazität unserer Kultureinrichtungen bei den strengen Hygieneauflagen entsprechend zu erhöhen, um hier wenigstens für ein wenig Entlastung zu sorgen", ergänzte Reiter.

Wolfgang Heubisch: "Kultur  ist der Hauptverlierer der Pandemie"

Auch die Opposition im Landtag ist wenig begeistert. "Es bleibt alles beim Alten, die Kultur ist der Hauptverlierer der Pandemie", twitterte Wolfgang Heubisch, der ehemalige Kunstminister und jetzige Kultursprecher der Landtags-FDP.

"Dass ausgerechnet der Kulturstaat Bayern die Kultur weiter mit einer absurden 25-Prozent-Auslastungsgrenze gängelt, macht mich fassungslos", sagt Sanne Kurz von den Grünen. "Dass letzte Woche gleich fünf Minister in der Staatskanzlei saßen und den für das Gespräch 'auf Augenhöhe' über Nacht rasch herbeizitierten Kulturschaffenden Betroffenheit vorgaukelten, war offenbar nur eine weitere Luftnummer des Ministerpräsidenten."

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Serge Dorny: "Vielleicht kam das Round Table letzte Woche zu spät" 

Aiwanger halte in seinem Bereich dagegen und setze auf diese Weise andere Regeln für die Gastronomie durch, so Kurz. "Es wird Zeit, dass sich das Kräftemessen dieser selbsternannten Häuptlinge endlich an Wissenschaft und Gleichheitsgrundsatz orientiert." Die grüne Kultursprecherin befürchtet einen bleibenden Schaden, weil die Strenge der Staatsregierung das Publikum verunsichere und verschrecke.

Auch der Intendant der Bayerischen Staatsoper zeigt sich enttäuscht. "In der vergangenen Woche gab es Gespräche mit verschiedenen Vertretern aus Kunst und Kultur und der Staatsregierung", sagt Serge Dorny. "Uns ist bewusst, dass es keine einfachen Entscheidungen sind, die die Politik zu treffen hat." Dorny wünscht sich mehr Planungssicherheit und hält das angesichts des strengen Hygienekonzepts im Nationaltheater für vertretbar. "Vielleicht kam das Round Table letzte Woche zu spät, dennoch hoffe ich, dass eine Entscheidung nun nicht immer weiter hinausgeschoben wird."

Mit jeder Woche wächst das Loch in der Kasse

Aus wissenschaftlicher Sicht dürfte es verantwortbar sein, die Hälfte der Plätze im Schachbrettmuster zu besetzen. Für alle, die Eintrittskarten verkaufen wollen, ist das Warten ohne Perspektive zermürbend. Mit jeder Woche wächst außerdem das Loch in der Kasse, und das ist auch bei subventionierten Häusern wie der Bayerischen Staatsoper, die einen hohen Anteil ihres Etats an der Kasse einspielen, kein Pappenstiel mehr.

Vielleicht bringt die nächste Woche ein Ende der Ungleichbehandlung. Vielleicht aber wird, mit steigender Inzidenz Woche für Woche weitergewartet. Was für kulturelle Einrichtungen fatal wäre.

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