Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker
In München, wo man ihn im Graben der Bayerischen Staatsoper ja nicht ganz unverstellt sehen kann, strahlt Kirill Petrenko stets gute Laune aus. Doch als er in Salzburg im Großen Festspielhaus vor die Berliner Philharmoniker tritt, ist sein Lächeln nicht nur wie üblich verschmitzt, sondern muss fast unterdrückt werden: als würde er sonst vor Freude hell herauslachen. Zwar wird Petrenko sein Amt als Chefdirigent offiziell erst im Herbst des nächsten Jahres antreten. Doch die Dinge scheinen schon jetzt prächtig zu laufen.
Das Programm des ersten Salzburger Gastspiels wurde vor wenigen Tagen bereits zur Saisoneröffnung in Berlin aufgeführt. Wohltuend ist, dass die beiden groß besetzten Tondichtungen von Richard Strauss im ersten Teil vor der Symphonie Nr. 7 von Ludwig van Beethoven erklingen, die damit nicht zum Einspielstück degradiert wird. Wer im letzten Jahr die beiden Konzerte des mittlerweile ehemaligen Chefdirigenten Sir Simon Rattle hören konnte, wird die Berliner Philharmoniker nun kaum wiedererkennen.
Alles ist durchsichtig
Rattle hatte seinerzeit betont, dass er, von der historisierenden Aufführungspraxis beeinflusst, keinen besonderen Wert darauf legt, einzelne Töne auszuhalten. Das hat Petrenko radikal geändert. Das Ergebnis ist nichts anderes als eine Wiederherstellung vergangener Klangfülle. Die Berliner verbreiten nicht mehr nur Oberflächenglanz, sondern haben sozusagen ihre Mitte wiedergefunden.
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Wohlgemerkt geht das nie auf Kosten der Transparenz. Doch für den ausgewiesenen Analytiker Petrenko ist diese nie Selbstzweck. Welchen Sinn hätte sie auch, wenn keine orchestralen Wunder zu entdecken wären? Hier gibt die Durchsichtigkeit selbst in den massivsten Tuttipassagen der Tondichtung „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss den Blick frei auf einen kraftvollen Streicherkörper, subtile Holzbläserfarben und ein nobles Blech. Die dramatischen Episoden mit den Todeskämpfen hält Petrenko unerbittlich zurück, die Zuckungen sind mit mathematischer Genauigkeit ausgeführt und erschrecken somit weitaus nachhaltiger, als wenn sie, wie so oft, bloß als naturalistische Krämpfe entfesselt werden. Nach dem Exitus offenbart sich Petrenkos Meisterschaft, unendliche Bögen zu spannen. Die Verklärung erfolgt als ein einziges, langes Ausatmen.
Wilder Sturz
In den „Don Juan“ stürzt sich Petrenko ungestüm hinein, wie man es von Richard Strauss‘ eigener Einspielung kennt. Er zeichnet die einzelnen Liebesabenteuer flüssig vor, elegant, frappiert dann aber mit einem existentiell aufgeladenen Kollaps, bei dem er auf dem Podium zusammenklappt wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hat. Vielleicht wirken die Läufe der Streicher in ihrer einschüchternden Perfektion zu Beginn noch etwas einstudiert. Doch, zugegeben: Solche Beobachtungen grenzen an Mäkelei.
Zu einer Sternstunde gerät nach der Pause Beethovens Symphonie Nr. 7. Man muss auf die Interpretation eines Carlos Kleiber zurückgehen, um Vergleiche für ein ähnlich lustbetontes wie intelligentes Musizieren zu finden. Die überwältigend schnellen Tempi dienen hier der Steigerung der Intensität, weil Petrenko die furiosen Entwicklungen nicht blind dahin stürmen lässt, sondern immer energisch in der Hand behält.
Seine dirigentischen Gesten sind eine Schau für sich: wenn er etwa im Scherzo ein kleines Ballett von hin- und her springenden Akzenten aufführt oder im Finale anfeuernd in den Orchesterkörper hineinsticht. Wenn dieser Esprit anhält – ja, dann kann das etwas werden mit Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern.
Das Konzert der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko mit dem hier besprochenen Programm kann in Kürze kostenpflichtig auf www.digitalconcerthall.com angesehen werden