Das zweite Wohnzimmer

In der Deutschen Eiche zechte Rainer Werner Fassbinder die Nächte durch und verliebte sich in den Schankkellner – was tragisch endete.
Michael Stadler |
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In der Deutschen Eiche zechte Rainer Werner Fassbinder die Nächte durch und verliebte sich in den Schankkellner – was tragisch endete.

Hier hat er also gefeiert, gezecht, gekokst und mehr als nur geflirtet. Damals, in den Siebzigern, war der Schankraum der Deutschen Eiche in der Reichenbachstraße 13 noch wesentlich kleiner. Mehr Eckkneipe als Restaurant. Bunte Butzenscheiben versperrten die Sicht von außen nach innen, heute sind sie am Eingang als Erinnerungsstücke angebracht. Damals wollte und musste man für sich sein. Jetzt ist alles transparenter. Zwischen 1974 und 1982 war Rainer Werner Fassbinder eine Art König hier, „die Deutsche Eiche war sein zweites Wohnzimmer“, meint der heutige Wirt, Dietmar Holzapfel, und als solches ist dieser Ort im Glockenbachviertel bekannt sowie als Künstlertreff und Magnetpunkt für die schwule Szene.

Dass Fassbinder hier gerne verweilte, davon zeugen viele Fotos. Eins hängt eingerahmt an einer der Gaststätten-Wände, der Regisseur in Faschingsstimmung, die Lippen rot bemalt, das karierte Hemd leger geöffnet. Getroffen habe er Fassbinder nie, meint Holzapfel, obwohl er selbst 1976 nach dem Abitur aus Ingolstadt nach München kam. „Ich war eher im ,Jeans’ oder in der Türkensauna in der Türkenstraße, wo auch Fassbinder öfters hingegangen sein soll.“

1993 kauften Holzapfels Vater, Holzapfel selbst und sein Lebenspartner Josef Sattler die Deutsche Eiche von der Familie Reichenbach. Sie renovierten den Gebäudekomplex, bauten später eine weitläufige Schwulen-Sauna in die hinteren Gebäude. Mit dem 1982 gestorbenen Stammgast beschäftigte sich Holzapfel ausführlich, als er zu dessen 60. Geburtstag 2006 eine Fassbinder-Ausstellung in der Deutschen Eiche vorbereitete: „Die Stadt hat das einfach verpennt. Und die Presse berichtete erst, als sie auf unsere Schau aufmerksam wurde.“

Was der legendäre Regisseur hier so getrieben habe, hat Holzapfel über Bücher wie das Deutsche-Eiche-Porträt „Das Mutterhaus“ von Fassbinder-Schauspieler Harry Baer und Erzählungen anderer Gäste erfahren. Zum ersten Mal tauchte Fassbinder 1974 in der Deutschen Eiche auf, „er wollte erst mal gar nicht reingehen“, erzählt Holzapfel. „Hier kamen eher die Tänzer vom Gärtnerplatztheater her. Fassbinder war schon in der Lederszene, aber irgendwie war das nicht so sein Lokal. Kurt Raab hat ihn jedoch eines Tages überredet, hier herzukommen, und Fassbinder hat sich auf Anhieb in den Schankkellner verliebt, den Armin.“ Kurz darauf zog Fassbinder ins gegenüberliegende Haus in der Reichenbachstraße ein. Armin Meier, der tagsüber als Metzgergeselle arbeitete und abends in der Deutschen Eiche Bier zapfte, folgte ihm.

Das erste private Wohnzimmer des Regisseurs – es ist heute das Büro von Josef Sattler. Ein modern eingerichteter Raum mit Schreibtischen, auf denen Laptops stehen, an der Wand ein schwarzes Sofa, wo einst mal eine Badewanne stand. Braune Tapeten hätten noch vor drei, vier Jahren an den Wänden geklebt, erzählt Holzapfel. „Es war scheußlich. Das war hier seine Höhle.“
Gruppenorgien sollen in dieser Höhle gefeiert, Drogen zuhauf konsumiert worden sein, wobei Armin Meier bevorzugt LSD nahm, während Fassbinder Kokain schnupfte. Einen Einblick in das gemeinsame Leben im dunklen Kabuff gab der Regisseur in den Szenen, die er für „Deutschland im Herbst“ drehte, der filmischen Collage über den Nachhall des RAF-Terrors in der Bundesrepublik: Fassbinder, rauchend, koksend, saufend, mit Armin, den er triezt und gleichzeitig braucht. Da der Vielfilmer seine Werke schnell und kostengünstig drehte, wurde auch die Gaststätte als Drehort genutzt. Mario Adorf und Armin Mueller-Stahl sieht man in „Lola“ im Schankraum und auch Szenen vom „Satansbraten“ entstanden dort. Wirtin Sonja durfte dabei in jedem Fassbinder-Film kleine, markante Rollen spielen.

Mit Sonjas Mutter Ella, der alten Wirtin, soll Fassbinder gerne Wettläufe veranstaltet haben, wenn das Telefon klingelte. „Wenn Fassbinder zuerst da war“, erzählt Holzapfel. „dann hob er ab und sagte: ,Grand Hotel Deutsche Eiche’. Das soll ihm einen Riesenspaß gemacht haben.“ Bekannt ist auch, dass Fassbinders Lieblingsgetränk Whiskey Cola war, „das putschte ihn auf“. Fassbinder war beim Fasching dabei, veranstaltete in der Deutschen Eiche Partys. Schauspieler wie Hanna Schygulla oder Kameramann Michael Ballhaus feierten mit. Der Stammgast zog andere Gäste an, aber „nicht jeder fand ihn großartig. Es sind auch Leute wegen ihm weggeblieben.“

Die Beziehung zu Armin Meier nahm einen tragischen Ausgang. Meier stand mit Fassbinder intellektuell nicht auf Augenhöhe und konnte es nicht ertragen, dass sein Geliebter andere schwule Affären unterhielt. Am 31. Mai, an Fassbinders Geburtstag, brachte Meier sich in der gemeinsamen Wohnung um. Erst zwei Tage später wurde er gefunden. „Fassbinder hatte danach hier Hausverbot. Er ist dann in die Clemensstraße umgezogen, wurde aber später hier wieder aufgenommen.“ Seinen 37. Geburtstag hat Fassbinder noch in der Deutschen Eiche gefeiert. Zehn Tage später starb er in seiner Wohnung in der Clemensstraße an einer Kokain- und Alkoholvergiftung.

Nein, meint Holzapfel, einen Typen wie Fassbinder könne man heute in der Deutschen Eiche nicht mehr finden, „so einen wie ihn gibt’s nicht nochmal“. In den Hotelzimmern hat man mittlerweile die Plakate von Fassbinder-Filmen abgehängt – das passe einfach nicht mehr zum Ambiente. Die Deutsche Eiche war und bleibt jedoch die Bühne, auf der Fassbinder sich bevorzugt inszenierte. Ein Ort der Entspannung und fürs exzessive Feiern. Als ob es kein Morgen gäbe.

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