Simone Kermes über Bachs Weihnachtsoratorium
Der Solosopran hat in Bachs Weihnachtsoratorium weniger zu tun als Alt oder Tenor. Dennoch hat Simone Kermes zugesagt, als die Anfrage kam, ob sie nach vielen Jahren wieder einmal Bach singen würde. Wie wird die temperamentvolle Sängerin damit umgehen?
AZ: Frau Kermes, warum haben Sie zuletzt so wenig Bach gesungen?
SIMONE KERMES: Bach war nicht meine erste Liebe. Er ist kein Opernkomponist wie Händel. Er ist religiös und intellektuell. Und schwer zu spielen und zu singen, weil neben dem Bauchgefühl viel Kopf verlangt wird.
Warum schweben Sie nach Ihren furiosen Barock-Ausflügen nun doch als Sopran-Engel in München ein?
Es ist eine Rückkehr zu meinen Leipziger Jugendjahren. Dort habe ich im Bach-Wettbewerb gewonnen und als Studentin natürlich auch das Weihnachtsoratorium gesungen. Ich habe mir nach der Anfrage aus München gedacht: Ok, nach den ganzen Jahren schau ich mal, was da in mir geblieben ist für dieses Stück. Aber die Sopran-Partie ist keine Bombe, die man da zünden kann.
Der Sopran hat ja hier keine tragende Rolle.
Ja, der Schwerpunkt liegt beim Tenor und der Altstimme, die die Maria verkörpert. Mal sehen, wie ich das aushalte. Aber auch das Weihnachtsoratorium hat ja einen erotischen Unterton. Ich selbst bin kein Freund der Interpretationen dieser strengen Leipziger Bach-Mafia, die das dort schon 250 Jahre lang macht.
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Was stört Sie an der dortigen Tradition?
Ich erinnere mich, wie Riccardo Chailly im Gewandhaus seinen ersten Bach gemacht hat, die „Johannespassion“, und ich Verrisse kassiert habe, weil ich das im italienischen Stil angegangen bin: mit viel Blut und Herz. Das wollte doch Bach, der war kein Kind von Traurigkeit, hatte viele Kinder und war ein emotionaler Mensch! Aber natürlich muss man im Weihnachtsoratorium auch hören: Bach hat das für Gott komponiert! Aber wir sind ja auch im Gasteig und nicht in einer Kirche. In Dresden und Leipzig wird ja auch nach der „Matthäuspassion“ nicht geklatscht, da ist dann so eine gespenstische Atmosphäre. Noch extremer ist es in Holland, wo das Calvinistische dazukommt. Da darf man dann auch nicht mehr das anziehen, was man mag.
Und wie ziehen Sie sich am Sonntag an?
Schön farbig mit Dekolleté, das geb’ ich mir dann schon, aber Beine bedeckt und nicht mit Riesen-Ausschnitt. Ich erinnere mich an die C-Dur Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ in Paris, wo es beim Sopran technisch ans Eingemachte geht. Es war ein Konzert für Radio France. Und Bach hat das unpompös auf dem C enden lassen. Und in der Zugabe habe ich dann einfach eine Oktave höher gesungen. Die Franzosen haben begeistert getobt und ich habe gedacht: Oh mein Gott, in Leipzig würden sie dich jetzt köpfen. So etwas hält Bach doch aus! Aber keine Angst, ich komme nicht nach München, damit die alle vom Stuhl runterfallen.
Wie halten Sie es mit Gott?
Ich denke nicht, dass man Bach nur als christlich-gläubiger Mensch singen kann. Ich selbst glaube an die Kraft des Guten, dass gute Sachen belohnt werden. Ich vertraue der „hellen Seite der Macht“, die mit einem sein kann, womit ich jetzt bei „Star Wars“ gelandet bin. Aber dass es eine Kraft des Guten gibt, sieht man schon daran, dass der Mensch ein ansprechbares Gewissen hat. Und meine Arie „Nur ein Wink von seinen Händen stürzt ohnmächt’ger Menschen Macht“, da singt ein wütender Engel gegen die Machenschaften dieses falschen Menschen Herodes an und sagt: Gott wird dich erledigen!
Und das passt ja fast unheimlich in unsere konfliktreiche Zeit mit der Flüchtlingskrise.
Aber am Ende siegt die Liebe – und so habe ich auch mein nächstes Album genannt, das am Valentinstag rauskommt und das ich auf Schloss Elmau vorstellen werde – und in München, wenn sich ein geeigneter Raum findet. Das „Weihnachtsoratorium“ ist auch so ein Stück gegen die Angst, auch gegen die, die wir nach den Pariser Anschlägen spüren.
Was ist Bachs tiefere Botschaft?
Mann muss zusammenrücken und Liebe ausstrahlen und dagegensetzen. Wenn man aus diesem Bach-Oratorium rauskommt, hat man das Gefühl: Ja, die Liebe wird siegen! Und allein schon deshalb bin ich froh, das Angebot für das „Weihnachtsoratorium“ angenommen zu haben – als ehrlicher, authentisch singender Engel, der nichts vorspielen muss, auch wenn ich nicht ohne Fehl und Tadel bin. Wenn ich diese Musik höre, kommen mir schon die Tränen und ich will da ganz tief zu mir kommen und wieder eintauchen.
Gasteig, Sonntag, 20.12., 19 Uhr, Kantaten 1 bis 6 mit dem Münchener Bach-Chor und dem Bachcollegium unter Hansjörg Albrecht. Karten: 55 - 110 Euro, Telefon 54 81 81 81 und Abendkasse. Am Samstag, 20 Uhr erläutert Albrecht im Gasteig bei einer Veranstaltung der VHS das Werk (Raum 0.117, 10 Euro). Gegen Vorlage der Karte am So. 20 Prozent Ermäßigung auf den Kartenpreis