Fahr' scheinfrei: Anarchisten rufen zu MVV-Fahrscheinboykott in München bei U-Bahn, S-Bahn und Tram auf

Dass der Öffentliche Nahverkehr in München nicht gerade billig ist, steht außer Frage. Jetzt kämpft eine neue Kampagne für kostenlose U- und S-Bahnnutzung - mit einem eigenwilligen Druckmittel: dem Fahrscheinboykott.
Christoph Elzer |
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Die Aktion "Fahr' scheinfrei" ruft zum Fahrscheinboykott beim MVV auf.
Aktion Fahr' scheinfrei Die Aktion "Fahr' scheinfrei" ruft zum Fahrscheinboykott beim MVV auf.

München - Seit dem heutigen 31. Januar läuft die Aktion "Fahr' scheinfrei", laut eigenen Angaben eine "anarchistische Kampagne für eine kostenfreie Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs in München und Umgebung". Das Ziel ist dabei klar definiert: "Wir wollen einen fahrscheinfreien öffentlichen Personenverkehr für alle Menschen. Eigentlich überall, aber etwas kurzfristiger wollen wir dieses Ziel vor allem in München und Region erreichen."

Und um dieses Ziel zu erreichen, rufen die Initiatoren, die lieber anonym bleiben wollen, alle Münchner auf, ab sofort ohne gültigen Fahrschein die Verkehrsmittel des Öffentlichen Personennahverkehrs zu nutzen. Dafür bietet "Fahr' scheinfrei" sogar höchst fragwürdige Tipps, wie man seine Fahrkarten so präparieren kann, dass sie nach dem Abstempeln wieder abwischbar sind, also mehrfach verwendet werden können. Auch Anleitungen, wie man einer Fahrscheinkontrolle entgeht oder entwischt, werden geliefert.

"Diskriminierung von Menschen durch Fahrscheine"

Diese teilweise grenzwertigen und teilweise eindeutig illegalen Tipps werden mit einem anarchistischen Weltbild begründet: "Wir haben weder Lust uns durch gesellschaftliche Normen in unserer Entfaltung einschränken zu lassen, noch sehen wir ein, warum eine Diskriminierung von Menschen durch Fahrscheine notwendig sein soll", heißt es auf der Website der Kampagne.

Durch diese offensichtlichen Anleitungen zum Rechtsbruch, die sich ja auch bereits im Kampagnennahmen "Fahr' scheinfrei" wiederfinden, rücken die Macher der Aktion ihr eigentlich durchaus diskussionswürdiges Ziel in ein fragwürdiges Licht. Dabei würde eine ernsthafte Debatte über die Preise des Münchner Nahverkehrs sicherlich der Stadt guttun und selbst das Modell eines komplett kostenfreien öffentlichen Transportsystems ist nicht so absurd, wie der erste Gedanke vermuten lässt.

Fahrscheine in München seien "zu teuer für viele, teuer für die meisten", liest man korrekterweise auf der Kampagnen-Website. Immerhin kostet eine Isarcard zwischen 55 und 225 Euro - pro Monat. Die Folgen dieser Entwicklung werden bei "Fahr' scheinfrei" klar aufgezeigt: "Klar ist für uns, dass endlich Schluss sein muss mit den diskriminierenden Fahrpreisen, die zahlreiche Menschen willkürlich in ihrer Mobilität einschränken. Wer sich nämlich keinen Fahrschein leisten kann und womöglich außerhalb der Zentrumsregionen wohnt oder Alternativen wie Fahrradfahren aus anderen Gründen nicht nutzen kann oder will, der*die wird vom öffentlichen Leben strukturell ausgeschlossen. Langfristig führt das zu einer Verdrängung dieser Menschen aus der Region München."

Die Argumente der Anarchisten

Um dies zu ändern, plädieren die Macher auf kostenlosen Nahverkehr, der auch nicht durch eine Hintertür wie eine Gebühr, Steuer oder Monatspauschale finanziert wird. Stattdessen glauben sie an die Rentabilität in Folge einer Langzeitwirkung: "Ebenso wie bei Autobahnen und anderen Straßen, die ja auch nicht von den Bürger*innen je nachdem wie häufig sie diese nutzen, mitfinanziert werden, könnten also auch mehr finanzielle Mittel für den öffentlichen Personenverkehr zur Verfügung gestellt werden, damit diese ohne Fahrscheine nutzbar wären. [...] Das würde natürlich mehr Geld kosten, allerdings nur auf den ersten Blick, denn ein besserer Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel würde auch einen Rückgang des PKW-Verkehrs nach sich ziehen und damit die Kosten für Reperaturarbeiten an Straßen, sowie die zusätzliche Umweltbelastung durch den übertriebenen Einsatz von Individualverkehrsmitteln senken. Zusätzlich würden die Wartungskosten für Ticketautomaten und die Kosten für Kontrolleur*innen allesamt entfallen."

"Wenn Politik und Verkehrsbetriebe einen fahrscheinfreien ÖPNV nicht durchsetzen wollen, tun wir das eben selbst. Dabei kannst du mithelfen, indem du dir einfach keinen Fahrschein mehr kaufst!", heißt es im Appell auf der Website. Es steht jedoch zu befürchten, dass genau dieses anarchistische Vorgehen jegliche ernsthafte Diskussion über die hehren Ziele der Macher im Keim erstickt. So sagte beispielsweise ein Sprecher der Deutschen Bahn (S-Bahn) gegenüber der AZ: "Wer schwarz fährt, nutzt eine Leistung, ohne dafür zu bezahlen. Dieses egoistische Verhalten geht zu Lasten der ehrlichen Kunden und trägt dazu bei, dass dem ÖPNV weniger Geld für die Finanzierung und den Ausbau zur Verfügung steht. Deshalb verurteilen wir den Aufruf zum Schwarzfahren nachdrücklich." Und die MVG warnt im gespräch mit der AZ: "Die Initiatoren rufen auf der Homepage zum Schwarzfahren sowie zum Missbrauch bzw. zur Manipulation von Fahrkarten auf. Das halten wir für strafbar und prüfen daher rechtliche Schritte." Eine Teilnahme an der Aktion "Fahr' scheinfrei" ist also alles andere als empfehlenswert.

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