Polizeigewalt: Der Polizei glaub man eher als dem Bürger

Das Bündnis gegen das Polizeiaufgabengesetz macht illegale Gewalt durch Beamte zum Thema. Die AZ spricht mit einem Experten.
Interview: Lisa Marie Albrecht |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Roman Thurn ist Soziologe an der LMU München.
privat Roman Thurn ist Soziologe an der LMU München.

München - "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte", so lautet der Titel einer Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum. Laut der nicht-repräsentativen Studie kommen auf einen Verdachtsfall von illegaler Polizeigewalt in Deutschland mindestens fünf Fälle, die nicht angezeigt werden. Das Bündnis #noPAG gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) lädt dazu am Donnerstag zu einem Vortrag.

Die AZ hat mit einem Soziologen über die Problematik gesprochen.

AZ: Herr Thurn, die Bochumer Studie geht von mindestens 10.000 illegalen Gewalttaten durch Polizeibeamte aus. Bei Demos und Großveranstaltungen wie Fußballspielen gibt es sie demnach besonders häufig.
ROMAN THURN: Dazu muss man wissen, dass die Forscher aktiv bestimmte Personengruppen angeschrieben haben, auch aus Protestbewegungen und der Fanszene. Deshalb kann es sein, dass sie überrepräsentiert sind, was auch im Methodenteil erwähnt wird. Grundsätzlich gibt es aber bei Großveranstaltungen Faktoren, die eine Eskalation wahrscheinlicher machen. Das sind etwa territoriale Eingriffe, Kommunikationsprobleme zwischen Polizei und den Demonstrierenden, genauso wie Kommunikationsprobleme innerhalb der Polizei. Zum Beispiel, wenn Funkgeräte ausfallen. Das kann bei Beamten zu Angstsituationen führen, die sie tendenziell gewalttätiger werden lassen, als es nötig wäre. Und natürlich spielt eine Rolle, wie das jeweilige Gegenüber wahrgenommen wird.

Was meinen Sie damit?
Es gibt die Hypothese, die allerdings noch nicht wissenschaftlich untersucht ist, dass gegen linke Proteste schneller eingeschritten wird als gegen rechte.

Roman Thurn ist Soziologe an der LMU München.
Roman Thurn ist Soziologe an der LMU München. © privat

"Den Linken wird tendenziell Hinterlist unterstellt"

Wie kommt man darauf?
Den Linken wird tendenziell Hinterlist und planende Tätigkeit unterstellt. Das zeigte sich etwa bei den Protesten des G20-Gipfels in Hamburg. Gleichzeitig ist der linke Protest sehr viel diverser, es sind viel mehr Frauen als bei rechten Protesten. Diese Gleichzeitigkeit einer unterstellten Hinterlist in Kombination mit einer unterstellten körperlichen Unterlegenheit macht Gewaltausübung sehr viel wahrscheinlicher. Das kennt man aus der Gewaltforschung.

Laut Studie sind es vor allem junge Männer innerhalb der Polizei, die Gewalt ausüben. Diese Gruppe ist laut Kriminalstatistik auch in der Gesamtbevölkerung besonders gewaltbereit.
Das ist mit Sicherheit ein wichtiger Faktor. Aber es ist auch so, dass ein bestimmter männlicher Habitus in der Polizei stärker erwartet und kultiviert wird als in anderen Berufsgruppen. Weil die Polizei das physische Gewaltmonopol hat und erwartet wird, dass Beamte diese Gewalt anwenden. Das kann hochproblematisch sein, wenn sich diese Erwartungen innerhalb des Korpsgeistes verselbstständigen. Es gibt ja zum Beispiel den Widerstandsbeamten, dessen aggressives Vorgehen Kollegen bekannt ist.

Laut Studie wird nur in 14 Prozent der angezeigten Fälle ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nur bei sieben Prozent davon kommt es zur Anklage. Wie kann das sein?
Viele Verfahren werden eingestellt aufgrund von Geringfügigkeit. Es wird gesagt, es bestehe kein öffentliches Interesse an dessen Verfolgung – was ja durchaus eine interessante Behauptung ist. Wenn es zum Verfahren kommt, ist ein großes Problem, dass es bei den Staatsanwaltschaften eine Privilegierung polizeilicher Aussagen gibt, also dass Polizisten tendenziell eher geglaubt wird als einfachen Bürgern. Nicht zu unterschätzen ist auch die sogenannte Mauer des Schweigens innerhalb der Polizei.

Vertrauen in Polizei und Rechtsstaat wird erschüttert

Was hat es damit auf sich?
Kollegen sagen gegenüber anderen Kollegen nur sehr ungern aus. Und wenn sie es tun, sind sie innerhalb der eigenen Behörde einer krassen Repression ausgesetzt, sei es durch Mobbing oder die Versetzung in andere Dienststellen.

Deckt die Justiz die Polizei?
Es gibt viele Institutionen, die daran arbeiten, dass das nicht passiert. Aber nahezu alle politischen Parteien arbeiten daran, dass die Bearbeitung solcher Fälle erschwert wird. Ein Beispiel ist die Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die in Nordrhein-Westfalen wieder abgeschafft wurde mit der Begründung, man würde damit die Polizei "denunzieren". Das ist fragwürdig.

Was macht es mit der Gesellschaft, wenn Gewalt von Polizisten ungeahndet bleibt?
Wenn etwa protestierende Jugendliche illegale Gewalt durch die Polizei anzeigen und das Verfahren nicht nur eingestellt wird, sondern sie vielleicht sogar eine Gegenanzeige wegen Widerstandshandlung erhalten, erschüttert das nicht nur das Vertrauen in die Polizei, sondern auch in den Rechtsstaat. Auch viele Anwälte raten in solchen Fällen davon ab, Strafanzeige gegen Polizeibeamte zu stellen. Das ist bedenklich, weil das Vertrauen damit offenbar nicht nur bei einigen Bevölkerungsgruppen verloren ist, sondern selbst bei Berufsjuristen.

Wird das Problem unterschätzt?
Solange es keine wirklich unabhängige Beschwerdestelle gibt, ja. Es ist wichtig in einem Rechtsstaat, dass sich die Exekutive nicht selbst kontrolliert. Eine solche Stelle wäre im Übrigen nicht nur für die Bevölkerung da, sondern kann genauso Anlaufstelle für Polizeibeamte sein, die sich über ihre Kollegen beschweren wollen – Stichwort Widerstandsbeamte.


Vortrag und Diskussion zur Studie ab 19.30 Uhr; Eine-Welt-Haus, Schwanthalerstraße 80

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.