„Ich vermisse oft den Mut zum Dialekt"
Warum Stoiber-Double Michael Lerchenberg in Landshut das richtige Bairisch lehrt - ein Interview.
In diesen Tagen endet in Landshut die diesjährige „Sommerakademie für bairisches Volksschauspiel“ (siehe Info-Kasten rechts) und die Studenten werden zeigen, was sie gelernt haben. Die AZ traf Mit-Initiator, Schauspieler und Dozent Michael Lerchenberg, der zwischen den Abschlussproben zu Karl Valentis „Orchesterprobe“ erklärt, warum der Schauspiel-Nachwuchs Bairisch lernen sollte.
AZ: Herr Lerchenberg, bringen Sie in dem Kurs auch Berlinern und Hamburgern den süddeutschen Dialekt bei?
MICHAEL LERCHENBERG: Nein, um Gottes Willen! Wir nehmen ausschließlich junge Schauspielstudenten oder Berufsanfänger aus Bayern auf, die von vornherein den bairischen Dialekt mitbringen. Wenn einer aus Wanne-Eickel zu uns kommt und sagt, er möchte bairischer Volksschauspieler werden, das würde nie funktionieren!
Warum sind Sie da so sicher?
Weil der Dialektsprecher die entsprechenden Wurzeln haben muss, die Sprache muss aus dem Bauch kommen. Der Norddeutsche hat die Worte vielleicht im Kopf, aber richtiges Bairisch wird er nie sprechen.
Die Teilnehmer beherrschen also schon Bairisch. Was lernen sie noch dazu?
Wir haben 2001 mit den Sommerkursen angefangen, weil bei der Zusammenarbeit mit jungen Kollegen am Theater und auch bei Fernsehproduktionen immer mehr aufgefallen ist, dass sie nicht mehr dialektsicher sind und dass sie sich zum Teil auch geniert haben. Wenn jemand aus Eggenfelden in Berlin auf die Schaupielschule geht, wird ihm natürlich der niederbayerische Dialekt ausgetrieben, das ist ja auch gut so. Aber auf der anderen Seite sollte er ein Gefühl für die Qualität entwickeln, die seine Zweisprachigkeit bedeutet. Das wollen wir ein Stück weit erreichen, dass unsere Studenten sagen: Wir können Thoma genauso gut spielen wie William Shakespeare.
Was vermitteln Sie den Studenten konkret?
Es geht schon damit los, dass in bayerischen Gymnasien heute keine bayerische Literatur mehr vermittelt wird. Deshalb lernen unsere Studenten im Kurs Autoren wie Achternbusch, Kroetz, Graf oder Thoma kennen.
Haben die Studenten auch Dialekt-Kunde?
Ja, und zwar Dialektologie, da geht es um die Grundlagen und Facetten der altbairischen Sprache. Ein Schauspieler muss zudem Stilsicherheit entwickeln, weil wir in der Literatur ja keine Lautschrift haben. Bei Thoma steht ein „dös“ im Text, aber natürlich sagt kein Mensch „dös“, da muss er wissen, wie man mit so einem Text professionell umgeht. Oder auch der Münchner Dialekt: Es gibt kaum mehr junge Schauspieler, die die Texte von Karl Valentin im Original sprechen können.
Hat sich der Münchner Dialekt so stark verändert?
Er ist ja bei der jungen Generation praktisch schon ausgestorben. Dialektschauspieler aus München gibt es heute kaum noch, auch im diesjährigen Kurs sind gerade mal drei junge Leute aus dem Großraum München dabei. Die anderen kommen vom Land, weil da der Dialekt noch gesprochen und gelebt wird.
Geht es in der Sommerakademie also auch darum, Dialekte vor dem Aussterben zu bewahren?
Ja natürlich. Weil es eine Tragik wäre, wenn es diese Sprache gar nicht mehr gäbe. Dem steuern wir ein wenig entgegen, indem wir uns darum kümmern, dass es immer einen gewissen Pool an dialektsicheren jungen Schauspielern gibt.
Sehen Sie keine Gefahr darin, dass hier eine Kunstsprache gepflegt wird, die nicht mehr verwurzelt ist?
Es ist uns klar, dass die Sprache sich lebendig entwickelt – Gott sei Dank. Wir wollen auch bestimmt nicht auf restaurative Weise das bairische Fähnchen hochhalten. Aber als Schauspieler muss man die ganze Bandbreite beherrschen. Ich denke, man muss für jeden einzelnen Text – egal, ob das ein moderner Kinofilm ist oder eben ein Valentin-Stück – das adäquate Bairisch finden. Das ist spannend und macht auch viel Spaß.
Tragen Fernsehen, Kino und Theater Verantwortung dafür, dass Dialekte nicht aussterben?
Die Sprache, die in den Medien gesprochen wird, prägt die Menschen jedenfalls stark. Mir fehlt im Fernsehen und am Theater aber oft der Mut zum Dialekt. Der „Tatort" zum Beispiel: Früher gab es eindeutige regionale Unterschiede, heute sprechen vielleicht noch die Putzfrau und der Taxifahrer ein wenig Dialekt, ansonsten wird es eher austauschbar. Aber auf der anderen Seite passiert auch sehr viel, da hat die Sommerakademie auch einiges dazu beigetragen. Plötzlich wird Dialekt wieder diskutiert – man wird sich darüber klar, dass wir ohne Mundart auf viele Facetten verzichten müssten.
Sie sind also optimistisch?
Ja, auf jeden Fall. Die Leute haben heute ein starkes Bedürfnis nach Heimat, ohne dass sie gleich Berufsbayern werden müssen. Sie brauchen gerade in Zeiten der Globalisierung diese emotionale sprachliche Anbindung. Es gibt da einen schönen Satz von Oskar Maria Graf: Je provinzieller die Welt wird, umso menschlicher wird sie. Das ist ein sehr schöner Ansatz auch für die Arbeit hier an der Sommerakademie.
Interview: Katharina Geiger
- Themen:
- Karl Valentin