Betriebsrentner in der Warteschleife
Nahezu täglich melden sich Betriebsrentner bei Helmut Achatz und seinen Kollegen vom Verein Direktversicherungsgeschädigte (DVG). "Sie klagen uns ihr Leid", erzählt Achatz, Ansprechpartner für die Regionalgruppe München und Südbayern des Vereins.
Immer noch warten Hunderttausende Betriebsrentner auf die versprochene Entlastung bei den Sozialbeiträgen, die bereits seit 1. Januar 2020 gilt. Zunächst hieß es, die Probleme bei der Umsetzung sollten bis Mitte des Jahres behoben werden. Nun soll im Oktober der Starttermin für die Auszahlung zu viel bezahlter Beiträge sein.
Bezieher kleiner Betriebsrenten sollen entlastet werden
Hintergrund: Bis 2019 mussten Empfänger einer Betriebsrente den vollen Satz für die Krankenkasse auf ihre Rente zahlen (auf die gesetzliche Rente hingegen wird nur der Arbeitnehmeranteil des Kassenbeitrags fällig). Es gab nur eine Freigrenze von 155,75 Euro. Wer mehr Betriebsrente bekam, musste auf die komplette Betriebsrente die kompletten Beiträge zahlen.
Durch die Einführung des Freibetrags von 159,25 Euro sollen nun zumindest Bezieher kleiner Betriebsrenten entlastet werden. Rund 60 Prozent der Betroffenen zahlen also faktisch nur noch maximal den halben Beitragssatz.
Das liegt daran, dass bei ihnen die Betriebsrente unter 318 Euro liegt, also dem Doppelten des Freibetrags. Die weiteren 40 Prozent sollen durch den Freibetrag ebenfalls entlastet werden. "Im Schnitt liegt die Ermäßigung bei 25 Euro pro Monat", sagt Achatz. "Das heißt, den Betriebsrentnern fehlen von Januar bis August mittlerweile schon 200 Euro." Vor allem Rentner mit mehreren Betriebsrenten scheinen für Probleme bei der Auszahlung zu sorgen. Doch wer ist nun eigentlich Schuld an der Misere? Die Politik? Oder die Krankenkassen?
AOK verweist auf den GKV-Spitzenverband und das Bundesgesundheitsministerium
"Die Krankenkassen und die Zahlstellen der Betriebsrenten kommunizieren das nicht klar und deutlich", sagt Matthias W. Birkwald, Bundestagsabgeordneter und Rentenexperte der Linken, der sich seit Jahren schon für die Abschaffung der Doppelverbeitragung einsetzt.
Auf die Nachfrage der AZ bei der AOK Bayern gibt es keine direkte Antwort – die AOK verweist auf den GKV-Spitzenverband und das Bundesgesundheitsministerium.
Andere große Kassen bleiben eher vage in ihrer Erklärung. So teilt etwa die Techniker Krankenkasse (TK) auf Anfrage mit, es habe zunächst "eine genaue Betrachtung der möglichen Konstellationen erfordert, um die Unterschiede im Zahlstellenmeldeverfahren und bei der Beitragsberechnung" zu berücksichtigen.
"Nach zügigen Beratungen haben Verbände, Softwarehersteller, Zahlstellen und Krankenkassen den Umsetzungszeitpunkt einheitlich auf den 1. Oktober 2020 festgelegt", erklärt TK-Sprecher Peter Schieber. Ab diesem Tag sollen die gemeinsam vereinbarten Datensätze in den Meldeverfahren zur Anwendung freigeschaltet und die Freibeträge dann endlich berücksichtigt werden.
Auch die Barmer vertröstet auf Oktober. "Wir können sehr gut verstehen, dass die Betriebsrentner eine schnelle Lösung wünschen", so Barmer-Sprecher Thorsten Jakob. Die Umstellung des Verfahrens sei jedoch nicht allein zu bewerkstelligen gewesen. So bräuchten allein die rund 46.000 Zahlstellen die technischen Voraussetzungen, um den neuen Freibetrag in ihren Abrechnungen zu berücksichtigen.
In der Regel ist der Abstimmungsbedarf tatsächlich enorm. Denn das Verfahren zum Einzug der Krankenkassenbeiträge kann mitunter sehr kompliziert werden, wenn bei Versorgungsbezügen verschiedene Zahlstellen zuständig sind.
Bis zur Umstellung kann es noch einige Wochen dauern
Ein Beispiel: Hat ein Versicherter etwa eine Zusatzversorgung im Öffentlichen Dienst, dazu noch eine Direktversicherung mit Kapitalausschüttung und dann auch noch eine Hinterbliebenen-Betriebsrente des verstorbenen Ehepartners, sind in dem Fall drei Zahlstellen beteiligt.
Hat hingegen ein Betriebsrentner nur einen Versorgungsbezug, dann ist auch nur eine Zahlstelle beteiligt. In dem Fall dürften die Betroffenen von der neuen Freibetragsregelung bereits profitieren.
Dass sich deren Umsetzung aber grundsätzlich etwas in die Länge ziehen wird, war schon bei der Verabschiedung der Reform im Dezember klar.
Damals teilte das Bundesgesundheitsministerium mit: "Die Krankenkassen und Zahlstellen arbeiten bereits mit Hochdruck daran, dass die neue Regelung jetzt zügig in ihrer Buchhaltung zur Beitragsberechnung integriert wird. Trotzdem wird es noch einige Wochen dauern, bis diese Umstellung erfolgt ist."
Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) sprach zum selben Zeitpunkt in einem Schreiben an ihre Versicherten jedoch bereits davon, dass die Umsetzung sogar bis Ende 2020 dauern könnte.
Spahn räumt Probleme ein
Zudem hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Verzinsung der ausstehenden Rückzahlung bis zum 31. Dezember 2020 vorsorglich außer Kraft setzen lassen. Denn eigentlich müsste das Geld mit vier Prozent verzinst werden. So sieht es das Sozialgesetzbuch bei solchen Liquiditätsverlusten vor.
Erst auf Nachfrage der Linken im Februar dieses Jahres räumte Spahn die Probleme ein. Er erklärte, dass "eine Auszahlung erst zum Ende des Jahres 2020 nicht hinnehmbar" sei.
"Recht hatte er. Aber nun haben wir Mitte August und die Krankenkassen vertrösten auf Oktober", sagt Linken-Rentenexperte Birkwald. "Das ist alles völlig inakzeptabel. Ich fordere die Zuständigen auf, die Betroffenen sehr bald öffentlich und verbindlich zu informieren."
Andernfalls, fürchtet er, werde sich der Frust der Betroffenen "über die eh schon bescheidene Entlastung" nur noch vergrößern.
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