Glucks "Alceste", inszeniert von Sidi Larbi Cherkaoui

Bayerische Staatsoper: Christoph Willibald Glucks „Alceste“ im Nationaltheater
Robert Braunmüller |
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Dorothea Röschmann in "Alceste".
Wilfried Hösl 4 Dorothea Röschmann in "Alceste".
Dorothea Röschmann in "Alceste".
Wilfried Hösl 4 Dorothea Röschmann in "Alceste".
Dorothea Röschmann in "Alceste".
Wilfried Hösl 4 Dorothea Röschmann in "Alceste".
Dorothea Röschmann in "Alceste".
Wilfried Hösl 4 Dorothea Röschmann in "Alceste".

Ach! Wie gerne würde hier Lobendes über eine gelungene Aufführung einer Oper von Christoph Willibald Gluck niedergeschrieben werden. Dieser Weltbürger aus Erasbach (oder Weidenwang) in der Oberpfalz schrieb von einem hohen Ethos getragene Musik, die – befreit von Rokoko-Koloratur-Firlefanz – die Gefühle edel empfindender Menschen zeigt. Dazu noch war er strebend bemüht, die sonst streng geschiedenen Theaterkünste des Gesangs und des Tanzes auf einer gemeinsamen Bühne zu vereinen.

Lesen Sie auch unser Interview mit Sidi Larbi Cherkaoui über "Alceste"

Die Theorie ist lauter und rein. Ihre Umsetzung, die Praxis, schwierig. Für die Bayerische Staatsoper unternahm nach langer Gluck-Pause nun Sidi Larbi Cherkaoui die Regie und Choreographie einer neuen „Alceste“ – und nach dessen heiterer Version von „Les Indes Galantes“ vor zwei Jahren im Prinzregententheater berechtigte der Abend eigentlich zu den schönsten Hoffnungen.

Bodenturnen mit Winckelmann

Aber was zu Rameaus kleinteilig-nervöser Musik passt, muss sich nicht für den Klassizisten Gluck eignen. Anfangs blitzte noch Gelingen auf. Das Staatsorchester spielte unter Antonello Manacorda mit wenig Vibrato klar und historisch informiert. Das tiefe Blech überschattete in der Ouvertüre heitere Gesänge heller Holzbläser und zeigte allein im Klang, wie sehr das menschliche Glück in dieser Oper von der Grausamkeit des Schicksals und der Allgegenwart des Todes bedroht wird.

Dann erschien Cherkaouis an sich muntere, virtuose Körperkunsttruppe: die Compagnie Eastman. Die fuchtelte schon während der Ouvertüre zur Illustration von Bläserfiguren so sehr mit den Händen, dass einem der Begriff „Mickey-Mousing“ in den Sinn kam.

Allein dieses Wort vermag einem die gehoben antike Stimmung zu verhageln. Dazu kam, dass der ungewöhnlich matt klingende Staatsopernchor trotz bester Sicht von Henrik Ahrs getreppter Bühne herab – aus welchen Gründen auch immer – nicht nur den ersten Einsatz verwackelte. Der Rest der Aufführung lässt sich knapp, aber erschöpfend so zusammenfassen: Schöne Menschen spielen papierene Schemen, die drei Akte lang auf eine sehr französisch-elegante Art schöne Dinge tun. Was in seiner Einseitigkeit auf Dauer einen gewissen Gähnreiz auslöst.

Ihre eigene Tante

Cherkaoui liefert zwar immer wieder schöne multikulturelle Bilder. Etwa, wenn sich Alceste mehrfach von den Todesgeistern auf Tüchern weggezogen, sich mit Hilfe der Tänzer in einen vielarmigen Shiva verwandelt oder der genesene König Admète vom Volk auf Händen getragen wird.

Die körpersprachliche Erzählung belässt die Geschichte der Alkestis, die in den Tod geht, um ihren Mann zu retten, im abstrakt-symbolischen Fantasieorient. Nichts berührt, weil nur Puppen auf der Bühne stehen und Cherkaoui auf jede Psychologie verzichtet. Da liegt er zwar ganz auf der Linie der Textdichter des Herrn Gluck, die alles Menschliche aus dem Drama des Euripides tilgten und durch Zeremonien und salbungsvolles Geschwafel („der heilige Dreifuß schwankt“) ersetzten.

Statt mit Alceste zu fühlen, beobachtet man zunehmend genervt klassizistisches Bodenturnen im Geist von Johann Joachim Winckelmann, voll jener Einfalt und Größe, an der Gluck-Aufführungen gerne kranken. „Wird das rechte Maß verfehlt, kann der Darsteller sich abmühen, soviel er will. Das Interesse des Zuschauers wird erkalten, er wird zu Eis erstarren und am Ende ungeduldig werden“, schrieb schon Jean-Jacques Rousseau vor 250 Jahren über diese Oper, als habe er im Nationaltheater gesessen.

Eine winzige Nebenrolle als Höhepunkt

Rettung kommt nur sehr bedingt vom Gesang. Nur Anna El-Kashem vermag mit einem kleinen Solo zu rühren. Michael Nagy verschwendet seine Kunst an die undankbaren Rollen des Hercule und eines Oberpriesters. Charles Castronovo verwechselt eine französische mit einer italienischen Oper.

Das wäre zu ertragen, wenn die Hauptrolle angemessen besetzt wäre. Doch Dorothea Röschmanns gaumiges Timbre und die klaffenden Registerbrüche sind eigentlich keine Geschmackssache mehr. „Divinités du Styx“ lässt kalt. Wenn sie sich von ihren Söhnen in den Tod verabschiedet, schaut sie in einer das Drama mordenden Weise zum Dirigenten. Kostümiert wurde sie so unvorteilhaft, als wäre sie ihre eigene Tante.

Schon Rousseau wusste, dass in „Alceste“ auf einen starken ersten Akt zwei schwächere folgen, in denen die immergleiche Trauerstimmung nur kurz unterbrochen und lediglich variiert wird. Die späte Pause beschädigt den Abend weiter. Denn der dritte Akt bringt nur noch einen lauwarmen Zweit-Aufguss der Furienszene aus „Orphée et Euridice“, ehe eine schon im 18. Jahrhundert verlachte doppelte Deus-Ex-Machina-Notlösung die Oper zu einem guten Ende bringt.
Ein paar Striche, keine Pause und mehr Euripides hätten Gluck retten können. Im Nationaltheater stirbt er den sanften Tod der Langeweile. Was schade ist um diese großartige Musik.

Wieder am 29. Mai, 1., 6., 10. und 13. Juni sowie am 18. Juli. Restkarten unter Telefon 2185 1920. Die Aufführung vom 1. Juni live im Internet auf staatsoper.tv
 

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