AZ-Serie anders Wohnen: Hausprojekt Ligsalz8 im Westend - "Man muss Lust auf Diskutieren haben"
Schwanthalerhöhe - "Das Wort Syndikat verschreckt viele“, sagt Sabine Herrmann. „Dabei heißen in der Schweiz alle Genossenschaften so.“
Wer denkt, in dem bunten Haus in der Ligsalzstraße 8 im Westend wohnen Hippies oder verkappte Hausbesetzer, der irrt sich gewaltig. Hier leben ganz seriöse Leute: Lehrer, Ingenieure, Angestellte, Freiberufler, Ärzte, Handwerker, Studenten und ein Kleinkind.
So auch Sabine Herrmann (53), Informatikerin und Fotografin, die zu den Gründungsmüttern des Hauses zählt, das im vergangenen Jahr mit einem Straßenfest für die Nachbarschaft zehnten Geburtstag gefeiert hat.
Sie erzählt, wie sie mit Freunden 2002 die Idee hatte, zusammen zu wohnen und etwas zu schaffen, das „ins Viertel wirkt“. Ein Syndikatshaus sollte es werden.
Das ist, vereinfacht gesagt, ein Haus, das seinen Bewohnern gehört und von ihnen selbst verwaltet wird, ohne, dass sich jemand dafür verschulden muss. Damit die Bewohner das stemmen können, gibt es das Mietshäuser Syndikat (siehe unten).
Sie renovieren in Eigenarbeit
Die Gründer der Ligsalz8 haben fünf Jahre gesucht. „Ihr“ Haus, also eines, das leer steht, finanzierbar ist und allen gefällt, fanden sie schließlich in einer Kleinanzeige in der Zeitung.
Von den anfangs 20 Leuten sind es 2007 noch acht, die es dann kaufen. Das zweistöckige Jahrhundertwendehaus erwirbt die Gruppe für 510.000 Euro, am Ende werden sie 890.000 Euro investiert haben. Von Baufinanzierung und Co. hat keiner eine Ahnung, beim Finanzierungsplan hilft das Syndikat.
Sie stocken zwei Etagen auf, bauen Balkone an, eine neue Heizung und Solaranlage ein, gestalten den Hinterhof neu. Das alte Bestandshaus wird in Eigenarbeit saniert, fünf Schichten Tapeten abgekratzt, Nachtspeicheröfen und auch mal eine Wand herausgerissen, der ehemalige Abortanbau zur Waschküche umgebaut. Ein Jahr lang – mindestens jeden Samstag.
„Als das Haus fertig war, waren wir erst mal alle ganz schön platt“, sagt Sabine Herrmann. „Und wir mussten es erst mal mit Leben füllen.“ Und das Zusammenleben starten.
Entscheidungen werden im Konsens getroffen
Die heute 13 Bewohner leben zu dritt oder zu sechst in Wohngemeinschaften. Wie schon während der Bauphase werden auch weiterhin alle Entscheidungen im Konsens mit der gesamten Hausgemeinschaft getroffen.
Sabine Herrmann lacht: „Man muss schon Lust haben, zu diskutieren, aber es ist wichtig, dass man sich trifft.“ Alle zwei Wochen ist Plenum, die Zuständigkeitsbereiche von Buchhaltung bis Biotonne sind aufgeteilt. „Wir müssen alles machen, was der normale Hausbesitzer auch machen muss“, sagt Herrmann. „Aber wir können die Arbeit teilen.“
Wie auch die Kosten für das Haus. Alle sind hier Mieter der Haus-GmbH, am Anfang hatten sie so vorsichtig kalkuliert, dass sie die Miete nach unten korrigieren mussten. Seit dem Einzug 2008, zahlt jeder 350 Euro im Monat. Warm, inklusive Internet.
Erhöhungen gibt es nicht, so lange die Hauskosten gedeckt sind. 4200 Euro im Monat. Kostenmiete nennt man das.
„Als wir angefangen haben, war das gar nicht so günstig“, sagt Herrmann. „Es war uns aber klar, dass es mal so sein würde. Auch wenn man nicht gedacht hätte, dass die Preise so schnell so sehr steigen.“
Im Mai beschloss die Gemeinschaft sogar eine solidarische Miete. Jeder zahlt auf freiwilliger Basis, Hauptsache am Ende kommt der benötigte Fixbetrag raus. „So kann man reagieren, wenn sich Lebensumstände ändern“, sagt Herrmann. Einer ist vielleicht mit dem Studium fertig und verdient jetzt, der andere dafür gerade in Elternzeit oder nur prekär beschäftigt.
Der Laden im Erdgeschoss, in dem es auch eine kleine Küche gibt, steht nicht nur den Bewohnern, sondern auch der Nachbarschaft und Interessierten offen. Er wird für Veranstaltungen vergeben oder an Gruppen, zur Chorprobe oder fürs Heimkino.
Regelmäßig wird zum Brunch geladen. Wer interessiert ist, kann vorbeischauen.
Wartelisten für die Wohngemeinschaften gibt es übrigens nicht.
Das Mietshäuser-Syndikat und die Idee dahinter
Die Idee des Mietshäuser-Syndikats stammt aus den 80er Jahren. Es geht um Solidarität, Eigeninitiative und Selbstverwaltung. In vielen Punkten gleicht sie Genossenschaften: Es wird dauerhaft bezahlbarer Wohnraum und Gemeineigentum geschaffen, die Mieten bleiben gleich, eine Reprivatisierung ist nicht möglich.
Der wesentliche Unterschied: Man muss keine Einlage zahlen: „Ein echtes Wohnen für alle“, so Sabine Herrmann.
Alles ist genau geregelt: Die Hausbewohner gründen einen Verein, das Haus ist eine GmbH. Deren zweiter Gesellschafter, neben dem Hausverein, ist das Mietshäuser-Syndikat, der Solidarverbund aller selbstverwalteten Hausprojekte. Dieser hat eine Wächterfunktion: Würde der Hausverein wieder verkaufen wollen, gibt es ein Veto. Das Haus ist dauerhaft der Spekulation entzogen. Wer auszieht, scheidet aus, keiner kann Gewinn daraus ziehen.
Finanzierung über Kredite
Die Finanzierung der Häuser erfolgt über Bank- und Direktkredite. Jede Privatperson kann ab 1000 Euro aufwärts investieren, es gibt 0 bis 2 Prozent Zinsen.
Vom ehemaligen Bahnhof als Kulturstätte in Dresden bis zum Altenwohnen in Konstanz, die Projekte im Syndikat sind ganz verschieden. Und auch ganz verschieden groß: Von sechs bis 280 Bewohnern ist alles dabei. Immer mehr sind mittlerweile auch Neubauprojekte. Natürlich leben nicht alle in WGs, wie im Münchner Haus. "Man muss eben durchrechnen, wie viel Miete für den Einzelnen anfallen soll", sagt Sabine Herrmann. Als WG kommt man natürlich günstiger weg.
Anders als in München, ist das Mietshäuser Syndikat in anderen deutschen Städten ein größerer Akteur. Mehr als 120 gibt es deutschlandweit. Die meisten Häuser, nämlich jeweils 16, gibt es in Freiburg und Berlin. In Bayern neben dem Münchner Haus noch je eins in Regensburg und Altötting. Außerdem noch neun in Leipzig, sechs in Hamburg, fünf in Dresden und fünf in Tübingen. Auch in Österreich und den Niederlanden gibt es Projekte.
Ein Modell für München? Es wäre denkbar
Sabine Herrmann hofft, dass es bald mehr Syndikatshäuser in München geben wird. Wegen der hohen Haus- und Bodenpreise sei das dort, wo der freie Markt waltet, zwar schwierig, aber trotzdem möglich. Leichter sei es etwa, in Erhaltungssatzungsgebieten. Hier könnte die Stadt ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen und dann an Syndikatsprojekte verkaufen. Die könnten so natürlich auch für schon bestehende Hausgemeinschaften, deren Haus verkauft werden soll, eine Option sein. Herrmann hofft deshalb auch auf die von der Stadt beschlossene Verschärfung der Erhaltungssatzung und die Ausweitung der Gebiete.
Vor allem aber macht es ihr Spaß, über die Idee zu informieren und so Menschen zu ermutigen, sich nicht einfach mit der schwierigen Wohnsituation abzufinden. "Man braucht eine Vision und Durchhaltevermögen", sagt sie. "Aber es ist realistisch."
Ihr Fazit: "Ich bin der Meinung, es muss möglich sein, in der Stadt zu wohnen".
Podiumsdiskussion auf dem Tollwood
Am heutigen Freitag, 7. Dezember, nimmt Sabine Herrman an einem Podiumsgespräch zum Thema auf dem Tollwood teil. Unter dem Titel "Stadt.Macht.Menschen“ um 19.30 Uhr im Weltsalon sprechen außerdem der Stadtplaner Julian Petrin von „Urbanista“, Christa Müller von der Stiftung „anstiftung“ und Pfarrer Rainer Maria Schießler. Der Eintritt ist frei. (Um Reservierung wird gebeten: www.tollwood.de
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