"Diese Scheiße": Bayerns Wirtschaft schlägt wegen Energiekrise Alarm

München - Fast jeder zweite hierzulande im energieintensiven Bereich tätige Unternehmer erwägt einer Analyse der Deutschen Industrie- und Handelskammer zufolge, ins Ausland abzuwandern. Im Vergleich zum Jahr 2022 – als der russische Angriffskrieg in der Ukraine ausbrach – ist dieser Gedanke mittlerweile fast doppelt so häufig verbreitet.
Jetzt macht auch das Ergebnis einer vom Analyse- und Beratungsunternehmen Prognos erstellten Untersuchung, die von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) in Auftrag gegeben wurde, nur wenig Hoffnung auf Besserung.
Studie: Stromkosten werden voraussichtlich nicht mehr zurückgehen
Die Experten haben für die nächsten 20 Jahre mögliche Entwicklungen der Energiepreise bei Wiederaufnahme oder Verzicht auf russische Gaslieferungen skizziert. Selbst im wirtschaftlich besten Szenario ergeben die Berechnungen: Die Marktpreise werden wohl nicht mehr billiger als vor dem Krieg in Europa.
Laut einer Studie des Statistischen Bundesamts sind die Erzeugungspreise im Jahr 2023 um rund 30 Prozent angestiegen. Hinzu kommen hohe Abgaben, Umlagen und Steuern. Für deutsche Unternehmer wird es schwieriger, auf dem Weltmarkt mitzuhalten.
Sven Kreidelmeyer, Projektleiter bei Prognos, verdeutlicht die Herausforderungen: In Deutschland kostet die Kilowattstunde Strom aktuell um die 16 Cent. In China und den USA ist sie zum Teil nur halb so teuer. "Auch Länder wie Italien und an der iberischen Halbinsel weisen deutlich weniger hohe Strompreise auf", so der Fachmann.
Podiumsdiskussion in München: "Die Politik hat uns diese Scheiße eingebrockt"
Um Lösungen zu entwickeln, hat die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft am Donnerstagabend Vertreter aus Politik und Wirtschaft eingeladen. Doch auch die Diskussion wird große Unternehmen wohl nicht beruhigen. Der politische Kurs bleibt unklar – obwohl die Uhr tickt und die Erwartungen hoch sind.

Auf dem Podium wird vbw-Chef Bertram Brossardt deutlich: "Die Politik hat uns diese Scheiße eingebrockt." Auf die Frage der Moderatorin, wo der Schuh letztlich drückt, sagt Brossardt nach kurzem Innehalten: "Sie müssen mich fragen, wo er nicht drückt."
Hubert Aiwanger warnt eindringlich: "Wir halten es nicht mehr lange aus"
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) schließt daran an und stellt fest: "Wir halten es nicht mehr lange aus, dann ist Deutschland kein Energiestandort mehr."
Durch den erneut gewählten US-Präsidenten Donald Trump und seine Pläne, europäische Exporte mit bis zu 15 Prozent zu besteuern, könnte laut Aiwanger die Krise noch weitaus größer werden. "Selbst, wenn wir Energie verschenken, heißt das nicht unbedingt, dass wir international wettbewerbsfähig werden."
Christian Essers vom Chemiekonzern Wacker zeigt, wieso die Vereinigten Staaten ein beliebterer Produktionsstandort sind. "Wir zahlen dort nur sechs Cent", sagt der Unternehmer. "Unsere chinesischen Kollegen sind bei vier bis fünf Cent." In Deutschland habe man hingegen ein Problem, die Mitarbeiter zu bezahlen: "Wir sind in unserem stromintensiven Bereich seit Oktober in Kurzarbeit."

Auch Essers würde, wenn er könnte, die Koffer packen und ins Ausland gehen. Bei einem Großunternehmen mit mehr als 16.000 Beschäftigten ist das aber nicht einfach so möglich.
FDP-Bundestagsabgeordneter Lukas Köhler: Nationale Ziele ergeben oft keinen Sinn
Negativ aufgefallen ist dem FDP-Bundestagsabgeordneten Lukas Köhler das grundsätzliche politische Vorgehen. Nationale Ziele – unter anderem bis 2045 in Deutschland klimaneutral zu werden – ergeben ihm zufolge wenig Sinn, wenn die EU dasselbe Ziel erst 2050 ansteuert. "Dann stoßen halt andere mehr aus."
Mit diesem und vielen weiteren Kritikpunkten wird auf dem Podium die Fachreferentin Katharina Grave aus dem Bundeswirtschaftsministerium konfrontiert. Deshalb macht sie in der Diskussion klar, dass sie gar keine Vertreterin der Grünen ist und auch unter SPD und Union im Ministerium gearbeitet hat.
Ihr zufolge belasten die hohen Strompreise den Mittelstand kaum. "Einzelne Verbraucher merken die Strompreise nicht. Wer sie aber merkt, ist die energieintensive Industrie." Brossardt grätscht unter anderem an dieser Stelle dazwischen. Es gebe auch im Mittelstand viele energieintensive Unternehmen.
Die Suche nach Lösungen gestaltet sich schwierig: kein mehrheitsfähiger Konsens
Was in der Runde nach der Bestandsaufnahme der Probleme fehlt, sind mehrheitsfähige Lösungen: Fachreferentin Grave führt über lange Zeit nur aus, was die Regierung schon umgesetzt hat. Brossardt plädiert dafür, in einer Übergangsphase einen fixen subventionierten "Prügelstrompreis" einzuführen.
Dagegen ist wiederum der FDP-Politiker Lukas Köhler. Er befürwortet Fracking – was zum Teil umweltschädlich ist. Offen zeigt er sich ebenso gegenüber der Atomkraft – auch, wenn sie sich für Betreiber möglicherweise nicht rechnet.
Aiwanger sieht stattdessen im Wasserstoff große Chancen. Er will Kraftwerke wie ein "Feuerwehrauto" auf den Markt "ballern". Essers und Brossardt weisen darauf hin, dass die Technologie in den nächsten Jahren nicht einsatzfähig sein wird – doch der Chef der Freien Wähler hält Wasserstoff trotzdem für "unterschätzt".
Der auf dem Podium wenig zu Wort gekommene Andreas Kießling vom Netzbetreiber Bayernwerk sagt, dass Erneuerbare Energien in Bayern "entfesselt" wurden – auch, wenn es mit Windkraft kaum vorangeht.
Er will grünen Betreibern die Vergütung streichen, wenn die Preise im Sommer negativ sind. Zudem will er eine "Spitzenkappung" einführen, durch die bei seltenen Spitzen in der Energieversorgung vom Netzausbau abgesehen wird. Einen Lichtblick gibt es bei der Debatte nicht. Der Weg aus der Krise bleibt undurchsichtig.