Visionäre und Innovationen

Wie lässt sich ein gemeinsames Ziel erreichen, wenn die Akteure ganz unterschiedliche Standpunkte verfolgen? AZ-Chefredakteur Michael Schilling führte eine leidenschaftlich engagierte Diskussionsrunde als Moderator in die Zukunft
"Wir brauchen systemische Veränderungen – vor allem benötigen wir einen Wandel des Konsums", lautete das grundsätzliche Statement von Monsignore Pirmin Spiegel. Der Hauptgeschäftsführer von Misereor war einer der Podiumsgäste, die beim Zukunftstag von Misereor und der Abendzeitung intensiv darüber diskutierten, wie denn die Welt im Jahre 2030 aussehen könnte.
Ausgangspunkt war der "Welterschöpfungstag": Dieser bezeichnet die Dauer, die von unserem Planeten benötigt wird, um all die Ressourcen wiederherzustellen, die von der Menschheit verbraucht werden. Vor 40 Jahren lag dieser Welterschöpfungstag Ende Dezember. Inzwischen liegt er – weltweit gesehen – Anfang August, in Deutschland sogar Ende April.
Die Erde schafft es also nicht mehr aus eigener Kraft, unserer Art zu leben nachzukommen. Eigentlich müsste sich sehr viel grundlegend ändern – und das nicht nur im Hinblick auf das Thema CO2-Emissionen.
Politik dürfe sich nicht nicht vor der Verantwortung drücken
Wie denn der persönliche Katalog dafür aussähe?, fragte Michael Schilling in die Diskussionsrunde. Nach welchem persönlichen Maßnahmenkatalog etwa Katrin Habenschaden lebe, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen – auch in München?
Die Grünen-Politikerin sieht hierfür vor allem die Notwendigkeit, den ganz großen Hebel anzusetzen. "Der besteht eben nicht hauptsächlich im privaten Verzicht, sondern liegt vor allem bei der Politik, die sich nicht vor der Verantwortung wegducken darf", so Habenschaden. Nur die Politik könne die strukturellen Probleme angehen, die es zu lösen gelte. Der Reflex, alles wieder zurückzuspielen an die nächsthöhere Ebene, sei eben keine Lösung.
Sie selbst könne natürlich auch persönlich etwas tun, falls ihr die Möglichkeit dazu gegeben würde: Als Oberbürgermeisterin würde Habenschaden München so umgestalten, "dass die Stadt zu einer Kommune wird, die anderen Kommunen als Vorbild dient", das sei der größtmögliche Hebel.
Im Gegensatz zur Autorin Isabelle Liegl sieht die Politikerin keine Notwendigkeit, in puncto Bildungspolitik die deutschen Qualitätsstandards in den Schulen mit den internationalen Institutionen zu vergleichen. Es gelte erst einmal ganz andere Probleme zu lösen: etwa das Thema Chancengleichheit, das sich auch darin zeigen würde, dass sich bei Klassenfahrten nur etwa die Hälfte der Kinder einen Tierparkbesuch leisten könne.
Bei der Notwendigkeit der Digitalisierung waren sich die Diskutanten einig
Eine weitere Frage von Michael Schilling zielte auf die Digitalisierung ab: Dass sie zwingend notwendig sei für Gestaltung der Zukunft – darüber herrsche sicher Einigkeit. "Aber schafft die internationale Vernetzung", so Schilling, "tatsächlich überwiegend Nähe oder gefährdet sie nicht auch den sozialen Frieden?"
Aus Sicht von AZ-Verleger Martin Balle bringt die Digitalisierung viele positive Aspekte, auch im Hinblick auf die Arbeitswelten: "Es ergeben sich durch den Wegfall von Stellen in einigen Bereichen auch wieder verfügbare Fachkräfte für andere", so Balle. Wichtig sei, "Digitalisierung zu gestalten".
Auf die Frage, ob man das "Höher, schneller, weiter!"-Denken in unserer heutigen Gesellschaft überwinden müsse, um zukunftsträchtig zu sein, sieht Isabelle Liegl die Lösung in der Erziehung. Eine Erziehung,, die die Kinder langfristig kreativer, innovativer und wohltätiger denken lasse. Man müsse statt reiner Wissensvermittlung auch die Anwendungsmöglichkeiten von Wissen erfahrbar machen.
Wie sich eine Bank für die Zukunft aufstellen könne – wenn sie, wie Michael Schilling den Philosophen Precht zitierte, als kleine Institution nur dann noch überleben könne, wenn sie künftig auch einen ethischen Mehrwert bietet?
Beteiligung und Regionlität sind Kernthemen für die Bank der Zukunft
Für Michael Dandorfer, Vorstand der Münchner Bank, stehen hier die Themen "Beteiligung" und "Regionalität" im Mittelpunkt. Die Genossenschaftsbanken wie etwa die Münchner Bank seien regionale Banken. Die Münchner Bank gehört 110 000 Münchnerinnen und Münchnern – von daher sei sie den Mitgliedern gegenüber verpflichtet, einen Mehrwert zu bieten. "Das ist genau der Kern der Münchner Bank: regional zu handeln, Personen zu vernetzen und einen besonderen Service zu bieten – zum Beispiel für Handwerker", so Dandorfer.
Regionale Themen seien eben auch immer nachhaltige Themen. Wenn man Produkte zum Beispiel nicht aus China importieren müsste, sei schon viel gewonnen – "das gilt für alle Bereiche". Und genau das sei es, was die Münchner Bank nach vorne bringen könne: das genossenschaftlich Orientierte, das Wertorientierte.
Auch die Butterflies-Kinder von Rita Panicker haben Ahnung davon, wie eine Bank funktionieren könnte: Sie lernen ebenfalls eine Art genossenschaftliches Bankwesen – Bedürfnisse zu priorisieren, Budget zu haben und Geld für einen zukünftigen Bedarf oder ein Unternehmen zu sparen. Und damit ihre Ideen auch Schule machen, haben die Butterflies-Kinder sogar ihre eigenen Medien – darunter eine Zeitung, die ,Delhi Children Times'.
Ihre Radiosendung nennen sie "Butterflies Broadcasting Children" – kurz: BBC. Über diese Kanäle generieren die Kinder ein Publikum und damit Aufmerksamkeit für ihre Ansichten zu sozialen, kulturellen und politischen Fragen.
Interview mit Rita Panicker: Stimme der Straßenkinder

Seit 1989 hilft Rita Panicker mit ihrem Hilfsprojekt Butterflies Straßenkindern. Die AZ sprach im Rahmen des Zukunftstags mit ihr.
AZ: Welches Schlüsselerlebnis veranlasste Sie dazu, Butterflies India zu gründen?
RITA PANICKER: Ich gründete Butterflies India, weil ich in Mumbai täglich Kinder sah, die ihre Zeit rund um die Bahnhöfe verbrachten. Als ich mit ihnen ins Gespräch kam, nahm ich die Würde wahr, die aus ihren Augen leuchtete. Diese Kinder waren talentiert, neugierig und resilient, standen aber am Rand der Gesellschaft.
Nicht freiwillig, sondern weil ihnen die fundamentalen Rechte und Anrechte auf Bildung, Gesundheitsvorsorge und Schutz verwehrt werden. Anrechte, die von den meisten Kindern aus der Mittelklasse für selbstverständlich gehalten werden. Ich merkte, ich musste mehr über diese Kinder und ihre Geschichte lernen. Ich besuchte viele Städte und traf Initiatoren, die bereits Projekte für Straßenkinder realisiert hatten. Es war großartig, von ihnen zu lernen und der Beginn meiner Arbeit mit Straßenkindern. Butterflies ist die Stimme der Kinder am Rande der Gesellschaft.
Wo sehen Sie Ihr Projekt im Jahr 2030?
Wir hoffen, dass unsere Arbeit in den nächsten Jahren das Leben der Kinder in ein Leben voller Würde und Respekt umwandelt, wir den Kreislauf generationsübergreifender Armut aufbrechen und wir unsere Erkenntnisse über kooperative Projekte teilen können.
Vielen Dank an unsere Partner
Der Bayerische Hof bot mit seinem Festsaal und nicht zuletzt seiner Küche den perfekten Rahmen für den "Zukunftstag - Die Matinee der Visionäre". Visionäre sind auch die Unternehmen, die den Zukunftstag zu einem echten "Markt der Möglichkeiten" werden ließen: Time Ride, Yammbits, Frugee/Good Crop, Y-Food und Chocolate3.
Bei Time Ride bekamen die Besucher einen kleinen Einblick in die Welt der Virtual Reality. Mit der VR-Brille erlebt man atemberaubende Landschaften und ergreifende historische Momente in der Bayerischen Geschichte. Von den ersten menschlichen Siedlern bis zum Märchenkönig Ludwig II. (www.timeride.de)
Gesund ging es an den verschiedenen Ständen weiter. Der Obst und Gemüselieferservice Frugee versorgte das Zukunftstagspublikum mit frischen Vitaminen.
Geliefert werden frische Obstkörbe, die durch den Arbeitgeber für die Mitarbeiter kostenlos zur Verfügung gestellt werden oder auch in Form von Präsentkörben verschenkt werden können. (www.frugee.de)
Am gleichen Stand überzeugten die Smoothies von Good Crop. Durch den Einsatz von Treber erhalten die Smoothies eine Extraportion Ballaststoffe und Protein. (www.goodcrop.de)
Startup-Unternehmer Julian Berhang will mit seiner Idee Yammbits Obstessen einfacher und praktischer machen. Die Yammbits Fruit Balls sind saftig, vegan, gluten- und laktosefrei – und enthalten Cashewmus statt Palmöl. Sie sind perfekt geeignet, um sich unterwegs, beim Sport oder im Büro lecker und nachhaltig zu ernähren. (www.yammbits.de)
"Gesund, innovativ und praktisch" ist auch das Motto von YFood. Benjamin Kremer und Noel Bollmann, die Gründer von YFood, merkten, dass im stressigen Büroalltag oft die Zeit fehlt, um sich gesund zu ernähren und entwickelten gemeinsam mit einem Lebensmitteltechnologen YFood als Trinkmahlzeit. (www.yfood.eu)
Naschkatzen wurden bei Chocolate 3 fündig. Mit einem von ihm selbst entwickelten 3D-Drucker ließ Bernd Daschner aus Schweizer Schokolade feine Kreationen entstehen. (www.chocolate3.de)