Zu soft: Grüne zählen Söder an
München - Es war keineswegs die erste Sondersitzung des Bayerischen Landtags zur Corona-Pandemie, die am Freitag in München stattfand, aber sie bot eine Premiere: Zum ersten Mal wurde Ministerpräsident Markus Söder (CSU) von der größten Oppositionspartei, den Grünen, für zu schnelle Lockerungen kritisiert. Ohne die nötigen Schutzmaßnahmen werde "zu viel auf einmal geöffnet", sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. "Wenn Sie eine Kehrtwende machen, dann kommunizieren Sie das wenigstens."
Schulze: Söder-Regierung schaffe es nicht, mehr Freiheiten zu ermöglichen
In der jetzigen Situation müssten Kinder und Jugendliche bei Öffnungsschritten Priorität haben, während die Erwachsenen "leider noch länger mehr zu schultern" hätten, sagte die Oppositionsführerin. Kitas und Schulen müssten mit guten Schutzkonzepten geöffnet und "andere Bereiche noch zu" gelassen werden, so Schulze weiter. Die Söder-Regierung schaffe es nicht, mehr Freiheiten zu ermöglichen, ohne die Gesundheit zu gefährden.
CSU-Fraktionsvorsitzender Thomas Kreuzer warf der Grünen-Fraktionschefin daraufhin "Scheinheiligkeit" vor. Die Grünen hätten die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom vergangenen Mittwoch über ihre Beteiligung an etlichen Landesregierungen ebenso wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mitgetragen. Offenbar seien alle Regierungen der Welt "Blindgänger", nur Schulze nicht, wies Kreuzer die generelle Kritik der Grünen-Vorsitzenden am schlechten Pandemie-Management durch die Söder-Regierung zurück.
Söder beharrt auf Inzidenzwert als wichtigsten Maßstab
Ministerpräsident Söder hatte zuvor vergebens gebeten, "nicht immer alles zu zerreden und schlecht zu machen". Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz und deren Umsetzung in Bayern verteidigte Söder. Das abgestufte, "atmende Corona-Schutzsystem" stelle "keinen Paradigmenwechsel" dar und setze auf die Mitwirkung der Bürger. Auch davon hänge ab, ob an Ostern Freiheiten möglich seien oder ein neuerlicher schwerer Lockdown verhängt werden müsse. Beides sei möglich.
Söder beharrte auf Inzidenzwerten (Infektionszahl pro 100.000 Einwohner und Woche) als wichtigsten Maßstab. Wer nur auf Todeszahlen achte, verpasse die Zeit zum Handeln. In dem gemeinsamen Dringlichkeitsantrag der Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern wird allerdings eine "Ergänzung" des Inzidenzwerts "als zentraler Bezugspunkt für Öffnungsstrategien" in Aussicht gestellt. In Zusammenhang mit der Ausweitung der Testkapazitäten, "die in erheblichem Maße zu mehr Sicherheit und Normalität beitragen", müsse dies "geprüft" werden.
"Es muss schneller mehr geben", fordert Söder den Bund auf
Mit Testen könne man viele Freiheiten wieder zurückerhalten, sagte der Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzende Florian Streibl. Mit Schnelltests könnten "coronafreie Schutzräume" geschaffen werden. Bayern hat nach den Worten Söders bei der Beschaffung von Schnelltests nicht auf den Bund gewartet, sondern selbst für 2021 mindestens 100 Millionen Schnelltests geordert. "Es muss schneller mehr geben", forderte Söder den Bund auf. Die Verantwortung für die zögerlichen Impffortschritte in Deutschland gab Söder einmal mehr der EU-Kommission, die sich bei der Impfstoffbeschaffung "Kardinalfehler" geleistet habe. Die EU müsse "nachsteuern und auch aufklären", sagte der Freie-Wähler-Fraktionschef Streibl.

Jetzt müsse das europäische Zulassungsverfahren weiterer Impfstoffe wie die von Johnson&Johnson und auch der russische Impfstoff Sputnik V beschleunigt werden, forderte Söder. Außerdem dürfe "kein Impfstoff übrigbleiben". Der Regierungschef will erreichen, dass ab Ende März auch Hausärzte und in deren Folge auch Fach-, Betriebs- und Schulärzte impfen dürfen und dabei von der "extrem starren Impfbürokratie" befreit sind.
FDP-Chef Hagen begrüßt Söders "zaghaften Kurswechsel"
Für die SPD signalisierte deren Fraktionsvorsitzender Horst Arnold Unterstützung für Söders "Öffnungsmatrix". Die jüngsten Schritte gingen "in die richtige Richtung", sagte Arnold. Die Regelungen seien aber "sehr kompliziert" und müssten dementsprechend klar und verständlich vermittelt werden, und zwar barrierefrei und mehrsprachig. Vertrauen in die Bevölkerung könne Söder nur setzen, "wenn die Bevölkerung weiß, was Sache ist".
Sich selbst zu korrigieren, zeuge von Mut, begrüßte FDP-Fraktionschef Martin Hagen Söders "Kurswechsel", der freilich noch ein "zaghafter" sei. Nur noch "ganz links, bei den Grünen" sei noch echter Rückhalt für die strenge Lockdown-Politik zu beobachten. Die Stimmung kippe vor allem deshalb, weil die Regierung bei den eigenen Hausaufgaben kläglich versage, so Hagen. Die Bundesregierung beginne erst jetzt mit der Einrichtung einer Task-Force-Testlogistik. Zum Versagen bei der Impfstoffbeschaffung komme jetzt noch das Versagen bei der Impforganisation. Deutschland lähme sich wie so oft durch seine Bürokratie selbst, sagte der Liberale. Hagens Fazit: "Wer als Politiker einen Lockdown verhängt, sollte ihn als Arbeitsauftrag verstehen, nicht als bequeme Ausrede für Pfusch und Bummelei."