Zu Hakenkreuze kriechen
Wie Will Bertholds »Heldensabbat« in Bamberg zum Großprojekt wird
Ein wenig Metropolregion gab es also zu braunen Zeiten schon als im roten Nürnberg der Reichsparteitag stattfand und im schwarzen Bamberg zeitgleich die blondzopfigen BDM-Girlies ihr Nationaltreffen feierten. Bund dummer Motten , nennt sie der Junge mit dem liberalen Elternhaus, und ist nicht abgeneigt, über ideologische Grenzen hinweg zu flirten. Der Tonfall in Will Bertholds Roman Heldensabbat , den der Bamberger Intendant und Klein-Dramatiker Rainer Lewandowski ( Die Tour ) mit einem Höchstmaß an Werktreuherzigkeit in Bühnendialoge übertragen hat, ist Dokusoap. Denn der erfolgreiche Illustrierten-Autor Berthold ( Nachts wenn der Teufel kam ) hat lange vor ZDF-Guido die Zeitgeschichte in Anekdoten getunkt und ist damit bis in die Kino-Charts vorgedrungen. Seiner Heimatstadt Bamberg dichtete er in späten Jahren einen Persilschein, nach dem die Nazis zwar herrschten, aber die katholische Bevölkerung ( Der Herrgott steht mir näher als deine Laufbahn , sagt eine Bonzen-Gemahlin) widerstandsfähig ihre Früh-Gottesdienste besuchte. Wie das lief und was draus wurde das steckt am E.T.A. Hoffmann Theater im Großprojekt über zwei Abende, das für Berthold an der Knopp-Leiste fast sechs Stunden beansprucht.
Im Mittelpunkt steht der begeisterte Gefolgschaftsführer Stefan (Jürgen Brunner spielt ihn als linkischen Feuerkopf mit Läuterungs-Reserve), der zunächst das Fähnlein schwenkt und später von der Realität belehrt wird. Drumherum die üblichen Verdächtigen mit keifenden Bösen, witzigen Aufrechten und unterschwellig aufmuckender Mehrheit. Gute Seiten, schlechte Seiten.
Die grundsätzliche und schon nach der ersten Viertelstunde querschießende Frage ist nicht, ob man das Thema wieder und wieder in Varianten aufgreifen muss, sondern was das Theater mit seinen Mitteln besser kann als Kino, Fernsehen oder Roman. Hansjörg Utzerath hatte in Nürnberg mit Hitlerjunge Quex ein vergleichbares Unternehmen gewagt und dabei der ganzen Gesellschaft auf der Bühne den Sumpf buchstäblich unterschoben, auf dem sie sich ungelenk bewegte. Ein Extrakt. Sowas traut sich Regisseur Peter Bernhardt nicht, wenn er die lange Kette kurzer Szenen mit viel Requisite und sanft überblendendem Bildwechsel inszeniert.
Lockerungsübungen mit Denkfallen
Die Möglichkeiten moderner Bühnentechnik werden clever genutzt, aber wie Uwe Oelkers seinen Entwurf einer Landschaft aus Laufstegen zur Schauplatz-Schaffung einsetzt, spinnenbeinige Zugbrücken nach allen Seiten, das kann nie Metaphern-Wucht erreichen. Man merkt die Unsicherheit der Interpreten, wenn die Synagogen-Brandstiftung erst mit Rotlicht, dann mit draufprojiziertem Dokufilm und gleichzeitig laienspielhaft realistischer Schlägerei dreifach illustriert statt intensiv übersetzt wird.
Lewandowskis fleißig das Buch abarbeitende Dramatisierung versagt sich den Blick von heute und behandelt den ambitionierten Journalisten Will Berthold als verkappten Boulevard-Poeten, der er wohl doch nicht war. Das bringt bei der Dialoglenkung (Gespräch unter Freunden: Du musst zu Kreuze kriechen! Auch zu Hakenkreuz?) Lockerungsübungen mit Denkfallen und stellt Bedeutsames und Belangloses (eine Tanzstunde, damit dem Slowfox-Pädagogen der Kalauer vom guten Führer angehängt werden kann) gleichberechtigt nebeneinander. Man mag nach dem ersten Abend nicht glauben, dass 2 x 3 Stunden dafür das richtige Theaterformat sind.
In Bamberg wird man es anders sehen, wenn zu Beginn von Teil 2 die Fronleichnamsprozession zum mobilen Widerstandsnest verklärt und die Frage nach Schuld eines jeden Einzelnen als verallgemeinerndes Mahnmal gebaut wird. Theaterbesucher können im Pausenfoyer Leben und Alltag im Dritten Reich in Dokumenten des Stadtarchivs erforschen. Dumm war er nicht , steht über Notizen zu SA-Führer und OB Zahneisen. Die Nazis auf der Bühne sind aber alle dumm und schon landen wir beim Kopfschütteln. Wie war s bloß möglich, also wirklich! Dieter Stoll
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