Zahlreiche Drogenopfer in München und Bayern: "Wir bekommen nie Informationen von der Polizei"

Illegale Rauschmittel wie der "Blue Punisher" können tödlich sein, denn oft ist ihre Zusammensetzung unklar. Wie der Freistaat Bayern Tote verhindern könnte, verrät Olaf Ostermann. Er leitet die Drogensuchtberatung Condrobs in München.
Maximilian Neumair |
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Die wenigsten kennen die Inhaltsstoffe der Partydrogen, die sie nehmen. (Symbolbild)
Die wenigsten kennen die Inhaltsstoffe der Partydrogen, die sie nehmen. (Symbolbild) © Oliver Berg/dpa

München - Hochdosiertes Ecstasy in Form blauer Tabletten mit darauf abgebildetem Totenkopf ist im Umlauf: Zuerst ist in Mecklenburg-Vorpommern eine 13-Jährige daran gestorben, kurz darauf mutmaßlich auch eine 15-Jährige in Brandenburg und eine 18-Jährige in Halle. Die Todesfälle stoßen erneut die Debatte an, welche Maßnahmen die Politik ergreifen kann, um die Zahl der wegen Drogen Gestorbenen zu verringern.

Mögliche Lösungen: das sogenannte "Drug Checking", Drogenkonsumräume und bessere Prävention, wie der 48-jährige Suchtberater Olaf Ostermann im Gespräch mit der AZ vorschlägt. Er ist Abteilungsleiter bei der Münchner Drogensuchtberatung Condrobs für den Bereich "Ältere und niedrigschwellige Hilfen" und sieht Änderungsbedarf in der bayerischen Rauschmittelpolitik.

Olaf Ostermann vom Suchthilfeverein Condrobs.
Olaf Ostermann vom Suchthilfeverein Condrobs. © Condrobs

Lebensbedrohliches Ecstasy "Blue Punisher" im Umlauf

Nicht jede Form von Ecstasy ist lebensbedrohlich. Gerade das macht es für Konsumenten so schwierig, das Risiko vernünftig einzuschätzen. Die für den Tod der Mädchen verantwortliche Variante "Blue Punisher" - so genannt als Anspielung auf das darauf aufgebrachte Symbol der Comicfigur "Punisher" – kann hingegen schon bei einer halben Pille zu einer Überdosis führen.

Besonders bei Kindern und Jugendlichen verschlimmert sich die Wirkung aufgrund des geringeren Körpergewichts.

Blue Punisher
Blue Punisher © dpa

Um herauszufinden, ob eine Droge dermaßen lebensgefährlich sein könnte oder nicht, gibt es das Konzept "Drug Checking". Aber: "Das darf man sich nicht so vorstellen, ich gebe irgendwo eine Droge ab, bekomme ein Ergebnis und werde damit alleingelassen. Drug Checking enthält immer ein Beratungsgespräch im Anschluss", so Ostermann.

"Drug Checking"-Pilotprojekte in vielen Bundesländern: Bayern ist noch skeptisch

Auf bundespolitischer Ebene wurde heuer die Erlaubnis für derlei Einrichtungen erteilt. In Berlin und Thüringen laufen bereits solche Pilotprojekte, in Baden-Württemberg ist auch eines geplant. Bayern ist noch skeptisch.

Das Gesundheitsministerium warnt, dass Drug Checking keine "umfassende Sicherheit für die Konsumierenden" biete und eine falsche Sicherheit vermittle, Vergiftungen zu vermeiden.

Auf Partys ist das Risiko besonders hoch, gepanschte Drogen angeboten zu bekommen, sagt ein Experte.
Auf Partys ist das Risiko besonders hoch, gepanschte Drogen angeboten zu bekommen, sagt ein Experte. © shotshop/imago

Ostermann hat für diese Sichtweise kein Verständnis. "Es ist nachgewiesen, dass 'Drug Checking' dazu führt, dass Menschen, die Drogen haben testen lassen, ihren Konsum anpassen." Es würden dadurch weniger Drogen eingenommen oder sogar ganz darauf verzichtet.

Und vor allem werden dem Experten zufolge auch die Menschen erreicht, die nicht regelmäßig Rauschgift zu sich nehmen. Das heißt: jene, die etwa auf Partys konsumieren und niemanden außer Freunden oder Bekannten haben, die sie über die Einnahme und Dosierung informieren.

München: mehr Drogentote pro Jahr als Frankfurt

Durch das Überprüfen der Droge weiß man dann etwa: "Okay, vielleicht sollte ich nicht eine ganze Tablette nehmen, sondern nur eine halbe", so Ostermann. Ein Hinweis, der im Fall der "Blue Punisher"-Pille über Leben oder Tod entscheiden kann. Zu den Vorschlägen gehören auch Drogenkonsumräume. Dort können Menschen Substanzen unter Aufsicht einnehmen. So geraten sie nicht in Gefahr, an einer Überdosis zu sterben. Frankfurt hat mit solchen Räumlichkeiten bereits seit den 1990er Jahren Erfolg.

"Frankfurt hat 20 bis 25 gestorbene Drogengebraucher pro Jahr, in München sind wir zwischen 45 und 70 pro Jahr", sagt der Experte. Und kein einziger ist in den Drogenkonsumräumen gestorben. Condrobs fordert bereits seit 20 Jahren, solche Orte auch in Bayern einzurichten. Erfolglos. "Die Drogenpolitik ist oft sehr ideologisch geprägt", sagt der Suchtberater. Die Angst, die Drogenkonsumräume würden Jugendliche anstiften, sei unbegründet. Dafür seien sie zu steril. "Da gehe ich nicht hin, wenn ich mal Drogen ausprobieren will."

Drogenarbeit beginnt mit Prävention bei Jugendlichen

Eine weitere wichtige Maßnahme ist laut dem Experten die Vorsorge: "In einer guten Prävention muss ich aufklären, was die positiven Effekte der Drogen sind. Dann kann ich sagen, ja, das ist die positive Seite, aber es gibt auch die andere Seite. Je stärker die Droge ist, umso größer ist das Gefahrenpotenzial." Diese Form der Aufklärung und Vorbeugung habe sich in den letzten Jahren in Bayern weiter verbreitet. Von einer flächendeckend guten Prävention bei Kindern und Jugendlichen lasse sich aber nicht sprechen.

Der Grund: "Die Prävention ist unterfinanziert. Viele Konzepte müssen immer gucken, wo sie Geldgeber herkriegen, um Programme fortzuführen oder auszuweiten." Um Todesfälle wie durch die "Blue Punisher"-Pillen zu vermeiden, braucht es Ostermann zufolge auch umfassendere Frühwarnsysteme. Durch die wird vor neu aufgetauchten oder besonders starken Substanzen gewarnt, wie etwa durch das Institut für Therapieforschung (IFT), indem Rauschmittel auf dem Schwarzmarkt auf ihre Zusammensetzung untersucht werden. Diese Analyse ist jedoch nicht flächendeckend und kann nur punktuelle Warnungen hervorbringen.

Zahl der Rauschgiftopfer in Bayern besonders hoch

Auch eine Mithilfe der Polizei könne dazu beitragen, indem sie Informationen über beschlagnahmte und untersuchte Rauschmittel wie Ecstasy weiterleiten. "Wir bekommen nie direkte Informationen von der Polizei, was sie gefunden haben und ob da etwas besonders Starkes dabei war", beklagt Ostermann.

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Bayern war 2022 das Bundesland mit den zweitmeisten Drogentoten – 277 Menschen sind dadurch umgekommen. "Es muss ein Zusammenspiel aller Bausteine sein, wenn ich eine langfristige Senkung der Zahl haben möchte", so der Experte.

"Die Zahl der jährlichen Drogentoten macht klar, dass wir unseren Weg der Prävention und niedrigschwelligen Hilfs- und Beratungsangebote weiter intensivieren müssen, damit all diejenigen Menschen, die unserer Hilfe bedürfen, sie auch konsequent bekommen", sagt Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) der AZ. Bayern setze dabei insbesondere auf eine "möglichst niedrigschwellige Substitutionsbehandlung" und eine "flächendeckende Etablierung von Naloxon-Notfallschulungen".

Gesundheitsamt erkennt Problematik

Durch eine Substitutionsbehandlung können Ärzte Drogenabhängigen Ersatzmedikamente verabreichen, die Entzugssymptomatik von Opioiden wie Heroin lindern. Naloxon-Nasenspray kann deren Wirkung vorübergehend aufheben und Tod durch Überdosierung verhindern.

"Der Freistaat engagiert sich konsequent mit vielfältigen Präventions-, Beratungs- und Hilfeangeboten im Bereich von Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen - insbesondere auch im Bereich Cannabis", teilt das bayerische Gesundheitsministeriums mit. Im November 2022 sei ein neues Projekt zur Cannabisprävention flächendeckend an bayerischen Schulen angelaufen.

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6 Kommentare
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  • Witwe Bolte am 07.07.2023 08:18 Uhr / Bewertung:

    Kein Mensch wird gezwungen, Drogen zu konsumieren.

  • Dj1312 am 06.07.2023 22:36 Uhr / Bewertung:

    Ich bin für eine Entkriminalisierungen aller Drogen, man sollte die Menschen nicht wie Junkie behandeln sondern sie wie kranke behandeln.

  • Herr Gamsbichler am 07.07.2023 09:03 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Dj1312

    Am besten eine Drogenauswahl im Supermarkt..."Darfs a bisserl mehr sein?
    Glauben Sie wirklich die generelle Freigabe wäre die Rettung? Ich glaube das ganz und gar nicht!

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