Zäher Aufarbeitungsprozess: Ettal in der Kritik

Ein Jahr nach dem Skandal von Ettal – Opferverein spricht von zähem Aufarbeitungsprozess am Kloster-Internat – Ehemaliger Sonderermittler erhebt scharfe Kritik
Ettal/München - Der Blick zurück offenbart Erschreckendes: Über Jahrzehnte hinweg haben Dutzende, wenn nicht Hunderte Kinder im Eliteinternat des oberbayerischen Klosters Ettal gelitten. Von systematischem Prügeln bis zum sexuellen Missbrauch reichen die Fälle, die ermittelt wurden, seit der Skandal vor knapp einem Jahr, am 22. Februar 2010, bekannt wurde.
Es ist nicht der einzige in Bayern aber der prominenteste. Und die Aufarbeitung ist längst nicht abgeschlossen. „Es gibt sicher Hunderte, die Ettal als Kinder traumatisiert verlassen habe“, sagt Robert Köhler vom Verein „Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer“. Köhler war nach eigenen Angaben selbst von 1974 bis 1983 im Internat. In seinem Jahrgang sei es rund ein Viertel gewesen, schätzt er.
Der inzwischen verstorbene Pater M. sei durch die Schlafsäle gegangen, „hat jedem Kind einen Gutenachtkuss gegeben und unter der Bettdecke in die Schlafanzughose gefasst“, erinnert sich Köhler. In anderen Berichten ist von einer Mauer des Schweigens die Rede, systematischen Prügeln und Schlägen mit dem Rohrstock bis dieser abbrach und das gezüchtigte Kind auf die Krankenstation musste.
Geständnis vor laufenden Kameras
Als die Vorwürfe vergangenes Jahr bekannt werden, geht es schnell. Auf Druck des Münchner Erzbischofs treten Abt und Prior des Benedikitinerklosters zurück. Ein Sonderermittler, der Anwalt Thomas Pfister, wird eingesetzt, um die immer zahlreicher werdenden Opferberichte zu sammeln.
Als er seinen Zwischenbericht vorstellt bezichtigt sich gar einer der Mönche vor laufenden Kameras selbst, zugeschlagen zu haben. Inzwischen hat das Kloster die Zusammenarbeit mit Pfister beendet, sein Abschlussbericht wurde ohne ihn vorgestellt. Abt und Prior sind nach einer apostolischen Visitation durch zwei andere Benediktiner wieder im Amt. Der Pater, der vor laufenden Kameras gestand, ist weiter Geschäftsführer der Klosterbetriebe.
„Ich war erstaunt, dass wir das so erzwingen mussten“
Pfister nennt die Aufarbeitung des Klosters heute „schäbig“. Köhler spricht von einem „extrem zähen“ Prozess. „Dafür, dass wir ein Jahr lang angeschoben haben, ist wenig passiert“, sagt er. „Ich war erstaunt, dass wir das so erzwingen mussten.“ So habe es bis Weihnachten gedauert, bis man als Opferverein Einsicht in alle Opferberichte bekommen habe.
Inzwischen sehe man aber zarte Pflänzchen, sagt Köhler. Vor allem der im November vom Kloster engagierte ehemalige Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch genießt sein Vertrauen. „Untadelig“ sei dieser, „autark denkend“, lobt Köhler. Seit Jentsch da sei, fühle man sich ernst genommen. Und der ehemalige Verfassungsrichter habe auch das nötige Gewicht und die Seniorität, um bei den Mönchen etwas zu erreichen, sagt Köhler.
Auf Opferseite gebe es nach wie vor eine große Skepsis, erklärt er den Umstand, warum bislang erst wenige vom Angebot des Klosters Gebrauch machten, sich eine Therapie bezahlen zu lassen. Ein großer Schwachpunkt sei, dass „die Mönche als Pädagogen nicht fähig waren, glaubwürdig auf uns zuzugehen“. „Es fehlt einfach an Empathie“, sagt er und erinnert daran, dass das Kloster jahrzehntelang die „mitbrüderliche Rückendeckung“ über die Befindlichkeit der Kinder gestellt habe.
„Ettaliban“
Doch nicht alle Ehemaligen stehen dem Kloster kritisch gegenüber. Auch aus der Elternschaft gibt es Unterstützung für das Internat. Es gebe eine Gruppe von Ehemaligen, die noch nicht so weit seien wie das Kloster, sagt Köhler, der jene scherzhaft „Ettaliban“ nennt. „Die wollen keinen Makel am Kloster haben“ und das störe den mit der Person von Jentsch verbundenen Annäherungsprozess.
Im Kloster sagt man am Mittwoch nichts zur Kritik und verweist stattdessen auf eine Pressekonferenz am Donnerstag (17.2.). Dann wird Jentsch seinen ersten Bericht „Sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlungen im Kloster Ettal“ vorstellen.