Wohnen in der Synagoge: Ehepaar baut jüdisches Gebäude um
Wiesenbronn - Über Reinhard Hüßners künftigem Wohnzimmer prangt ein Nachthimmel. Goldene Sterne auf blauem Grund schmücken das hohe Mansardendach, die Wände sind mit gold-roten Blumenmustern verziert. „Ich weiß selbst noch nicht so genau: Wie viele Möbel verträgt so ein Raum?“ sinniert der 55-Jährige.
Er steht im prachtvollen Betsaal der früheren Synagoge von Wiesenbronn, einer 970-Einwohner-Gemeinde in Unterfranken. Einst hatte der Ort eine jüdische Gemeinde.
Deren Erbe will Hüßner erhalten: Mit seiner Frau Michaela renovierte er die ehemalige Synagoge – und zieht nun ein, wo vor einem Jahrhundert noch jüdische Bewohner des Dorfs zum Schabbat-Gottesdienst zusammenkamen.
2005 kaufte das Paar das Gebäude und riss erst einmal alles raus, wie Reinhard Hüßner erzählt. „Wir haben ganz bewusst versucht, alle Anbauten nach 1938 zu entfernen.“
Damals hatte sich die jüdische Gemeinde unter dem Druck des Nazi-Regimes aufgelöst und die Synagoge an Nachbarn verkauft. Später folgte der Umbau zum Wohnhaus.
Das rituelle Tauchbad im Erdgeschoss wurde zugeschüttet, die Decke des Betsaals verschwand hinter einer Zwischendecke. Die neuen Eigentümer ließen die Synagoge auf die Denkmalliste setzen und machten die Vergangenheit wieder sichtbar.
„Sie haben mit ihrem Mut und ihrem Forscherdrang ein wichtiges Stück jüdischer Geschichte wieder erlebbar gemacht“, sagt der Generalkonservator des Landesamtes für Denkmalpflege, Egon Johannes Greipl. Die Synagoge wurde 1792/93 gebaut.
Nachdem die Juden aus den Städten vertrieben worden waren, hatten viele von ihnen in kleineren Orten eine Heimat gefunden – man spricht vom Landjudentum. „Unterfranken hatte im 18./19. und frühen 20. Jahrhundert die höchste Dichte an jüdischen Gemeinden in Deutschland“, sagt Greipl.
In Wiesenbronn lebten zeitweise etwa 160 Juden. Als die Nazis an die Macht kamen, war die Gemeinde bereits deutlich zusammengeschrumpft, viele jüdische Familien waren in die Städte gezogen. 1933 gab es noch 20 Juden im Ort. Wer nicht auswanderte, fiel der Verfolgung zum Opfer. 1942 deportierten die Nazis die letzten Juden.
Ein Rundgang durch das Haus ist heute eine kleine Zeitreise. An vielen Stellen sind wie in kleinen Schaufenstern Reste der ursprünglichen Bemalung freigelegt worden, sie gehen fließend in originalgetreue Nachahmungen über.
Die gewundenen Steinstufen der Mikwe, des lange Zeit verschütteten rituellen Tauchbades, führen jetzt wieder 2,80 Meter in die Tiefe.
Und im Obergeschoss ist der Betsaal weitgehend wieder hergestellt – mit einer erhaltenen Empore, auf der früher die Frauen den Gottesdienst verfolgten.
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