Wo uns Hitler und Wagner erwarten
Nürnberger Begegnungen der seltsamsten Art: Bert Brecht trifft auf Albert Speer – Richard Wagner und Adolf Hitler stoßen dazu. Am Rande der Kongresshallen-Ruine am Dutzendteich, die der größenwahnsinnige Nazi-Architekt in Colosseum-Manier entwarf, zieht das Schauspielhaus für 18 Monate in den neuen Symphoniker-Konzertsaal ein.
Am Samstag ist dort die erste Premiere, und Schauspieldirektor Klaus Kusenberg hat dafür demonstrativ die ätzende Hitler-Parabel „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ gewählt – mit dem „Faust“-Darsteller Thomas Klenk als Führer-Gangster.
AZ: Herr Kusenberg, hätten Sie Brechts Stück ohne die Reichsparteitags-Kulisse, die jetzt ihr Ersatz-Theater umgibt, ganz anders inszeniert?
KLAUS KUSENBERG: Nein, aber im normalen Rahmen hätte ich mir überlegt, es überhaupt anzusetzen. Es ist kein Stück, das unter aktuellen Spielplan-Aspekten an die erste Stelle gehört. Ich bin nicht der Meinung, dass das deutsche Theater in erster Linie gegen aufkommenden Neofaschismus antreten muss, denn wir befinden uns in einer gefestigten Demokratie.
Warum spielen Sie es dann überhaupt?
Weil wir uns nun mal in diesem baulichen Zeugnis der Vergangenheit befinden. Der Auftakt ist wie ein Pflock, den wir einschlagen wollen - wir machen etwas, das dem Ungeist, der hier sein Denkmal hat, zuwiderläuft. Aber letztlich ist der Raum, in dem wir spielen, einfach ein Theater.
Bei jeder Probe, bei jeder Vorstellung läuft man vorher und nachher an der Protz-Ruine entlang. Hat das keine Auswirkungen?
Schon, aber bei der Verarbeitung solcher Eindrücke muss man aufpassen, dass es nicht peinlich wird. Wir sind noch dabei, vielleicht empfangen wir die Besucher mit Wagner-Klängen und einer Hitler-Rede über den Dächern. Doch eins muss klar sein: Wenn man drin ist im Theater, dann gibt es keinen Bonus für Betroffenheit.
Das Stück ist abgestempelt, wahlweise klebt das Etikett Parabel, Gangsterballade oder Agitation drauf. Was bevorzugen Sie?
An der Parabel ist interessant, wie die Mechanismen solcher Macht-Entwicklungen vorgeführt werden, wie Wirtschaftskrise und Korruption wirken. Das macht Brecht mit den respektlosen Möglichkeiten der Komödiantik, und so machen wir das auch.
Es darf also gelacht werden?
Darüber gab es Diskussionen im Ensemble, ob das Gelächter den Blick aufs Ungeheuerliche nicht gefährdet. Ich glaube, man wird auf diese Art reingezogen in die Geschichte, die Weichenstellung zu Pathos und Komik ist eindeutig.
Darüber könnte man ja von Chaplins „Der große Diktator" mehr lernen als von Brecht...
Da ist was dran, und wir haben uns den Film auch in der Vorbereitung angeschaut. Ich war verblüfft, wie viele jüngere Schauspieler ihn gar nicht kannten.
Brechts Amerika-Bild kommt aus dem Gangster-Kino von Hollywood, ist also in jeder Hinsicht schwarz-weiß. Haben Sie nachkoloriert?
Es gab mal eine Aufführung, die das Gangstermilieu von Chicago penibel abgebildet hat - und die war extrem wirkungslos. Brecht hat mit doppelter Verfremdung gearbeitet, also Politiker zu Gangstern gemacht, die Gangster aber mit hoher Schiller-Kunstsprache ausgestattet. Da ist zu spüren, wie er um seinen Stil ringt.
Eine Hitler-Figur spielen zu Zeiten, da Bruno Ganz gebibbert und Helge Schneider geblödelt hat – wie befreit man sich von solchen Eindrücken?
Wir wollten dem Heer der Hitler-Paraphrasen zwischen Monty Python und Polt keine weitere hinzufügen. Der Hitler-Darsteller muss über den Umweg einer Kunstfigur spielen. Der private Tonfall, den Schauspieler so lieben, ist hier verboten, und ich kann da auch keine Imitation der bekannten Hitler-Posen mehr sehen. Was wir zeigen wollen: Er war ein ungebürsteter Straßenköter, der nach oben gespült wurde.
Bei Brechts Abrechnung ist das Großkapital an allem schuld, das Volk bleibt ungeschoren. Ist der Ideologe dem Dichter in die Quere gekommen?
Stimmt, es gibt weder Proletariat noch wirklichen Widerstand in der Geschichte, aber ich habe nicht das Gefühl, dass irgendjemand freigesprochen wird. Die Wirtschaftskrise war eben die Einstiegstür für die Nazis, und Brecht war viel zu sehr Theatermacher, als dass er die Bühne zur Illustration seiner Philosophie missbraucht hätte.
Es gibt eine besondere Szene, in der sich der Machthaber von einem Schauspieler beibringen lässt, wie man Wirkung erzielt. Entlarvt das nicht auch die Kunst als Manipulationshandwerk?
Die Szene ist vor allem eines: vollkommen inhaltsleer. Es geht ausschließlich um Oberflächlichkeit, wie stehe ich, wie sitze ich, wie komme ich an. Wenn wir heute eine Hitler-Rede im Film sehen, dann sind wir ziemlich schnell beim Gelächter. Aber damals hat es ja offensichtlich gewirkt. Der öffentliche Auftritt ist ganz wie das Theater in seinen Ausdrucksformen zeitgebunden. Was zu zeigen ist in dieser Szene: Ui hat es auf Effekt abgesehen, also studiert er ihn ein.
Das Schlusswort „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ gehört längst zu den Versatzstücken von Bekenntnis-Reden. Was machen Sie mit dem großen Zeigefinger?
Ich glaube, das lassen wir ganz weg, denn so möchte ich heute nicht angesprochen werden. Zu Beginn der Proben habe ich als erstes Prolog und Epilog gestrichen. Der Prolog ist inzwischen wieder drin, weil er uns auf die richtige Spur setzt.
Welchen Stellenwert hat Brecht für Sie überhaupt nach den Proben-Erfahrungen?
Den Schauspielern, die ja gern als überzeugende Privatperson mit fremdem Text losspielen, ist er schon ziemlich fremd. Dieser Zwang zur Haltung, diese Art, Dinge auf den Punkt zu bringen, sind sie von anderen Autoren nicht gewohnt. Ich war erneut beeindruckt von der Formulierungskraft, sehe aber auch, wie leicht der Appell-Charakter ins Leere laufen kann.
Die „Dreigroschenoper“ spielen Sie eher wegen der Musik von Kurt Weill, bei „Mutter Courage“ geriet sogar Georg Schmiedleitner in bleierne Szenen. Blüht Brecht das Schicksal von Frisch und Dürrenmatt?
Dürrenmatt ist ganz an mir vorbeigegangen, Frisch habe ich immer nur als Romancier verschlungen - bei Brecht finde ich, dass seine Texte „trotzdem“ gut sind. Ich glaube nicht, dass er passé ist. Er kommt wieder, aber man kann es nicht erzwingen. Interview: Dieter Stoll
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