Wo die wilden Mädels warten

Besuch im Bordell Caesars World: Ein Freudenhaus-Chef als Herbergsvater und Prostitution als Dienstleistung – das älteste Gewerbe der Welt entdeckt sich neu
von  Abendzeitung
Im schummrigen Licht warten die Damen auf Kunden. Im Caesars arbeiten derzeit 25 Prostituierte.
Im schummrigen Licht warten die Damen auf Kunden. Im Caesars arbeiten derzeit 25 Prostituierte. © az

Besuch im Bordell Caesars World: Ein Freudenhaus-Chef als Herbergsvater und Prostitution als Dienstleistung – das älteste Gewerbe der Welt entdeckt sich neu

Nicky macht die Beine breit und bückt sich. Die 21-Jährige dehnt ihre Oberschenkel, sie wärmt sich auf für ihren ersten Kunden. Ein Krampf wäre amateurhaft. Prostituierte und Prostituierte kriegen Krämpfe. Nicky nicht. Sie ist professionelle Prostituierte. Und stolz drauf.

Nicky arbeitet in Münchens größtem Freudenhaus, dem Caesars World am Stahlgruberring. Ein Bordell, das viele Vorurteile über das Rotlicht-Milieu widerlegt, mal abgesehen davon, dass Männer dort Sex für Geld bekommen.

Ein Schlipsträger mit grauen Haaren steckt seinen Kopf in Nickys Zimmer. Showtime. Ihre rechte Hand, die gerade noch das Kinn gestützt hat, spielt jetzt mit einer schwarzen Haarsträhne. Was vor einer Sekunde noch Fläzen war, verwandelt sich in Räkeln. Nicky reibt ihre kniehohen Lackstiefel aneinander, drückt den Rücken durch wie eine Katze und schnurrt: „Na Süßer, komm doch mal rein.“ Kurze Zeit später zieht sie die Tür zu.

Nach zehn Minuten schlüpft der Freier aus Nickys Höhle, um fünf Milliliter Körperflüssigkeit und 50 Euro leichter. Er streicht mit zwei hastigen Handbewegungen seinen Scheitel platt, und geht mit langen Schritten den Gang entlang, dann ist nur noch das Klackern seiner Ledersohlen im Treppenhaus zu hören.

In ihrer Arbeit sieht Nicky nichts Verwerfliches

Nicky liegt auf ihrem Bett, schiebt ihren Slip zurecht und gurgelt mit einem Schluck Fanta. „Der war eklig“, sagt sie, grinst und fügt hinzu: „Hatte Haare auf dem Rücken.“ Dass der Mann mehr als doppelt so alt war wie sie, stört Nicky nicht. Die Alten mag sie: „Die kommen schneller und zahlen besser.“

Im Caesars arbeiten keine Zwangsprostituierten, die Bettlaken haben keine Flecken, und kein Zuhälter mit Goldkette und Krokoschuhen patroulliert durchs Haus. Ein gesaugter roter Teppich liegt in der Eingangshalle, der Tresen in der Tabledancebar ist gewienert und duftet nach Melisse. Wer Lust hat, kann dort ein Bierchen trinken und dann wieder nach Hause gehen. Wer mehr Lust hat, geht in die erste, zweite oder dritte Etage. Dort taucht die Deckenbeleuchtung die Gänge in karminrotes Licht, und auf Barhockern kippelnd warten die Ladies auf Kundschaft.

Nicky arbeitet seit sechs Monaten im Caesars. Vorher hat sie bei Penny Regale eingeräumt, für 700 Euro im Monat. So viel verdient sie heute an einem guten Tag. Und auch wenn sich acht Freier nacheinander an ihr abarbeiten, spürt sie keine Schmerzen. „Alles Trainingssache.“ Nicky sieht in ihrer Arbeit nichts Verwerfliches. Sex hat sie schon immer gern gehabt, jetzt bekommt sie auch noch Geld dafür. Die Prostituierte entscheidet selbst, wann sie arbeitet. Einen Zuhälter hat sie nicht. Sie sagt: „Alles supi, und der Jürgen ist auch ein Lieber.“

„Der Jürgen“ hat eine Glatze, Tattoos auf den Armen und die Maße eines Gefrierschranks. Ihm gehört das Caesars. Er sitzt in seinem Büro im Erdgeschoss des Hauses trinkt eine Cola, krault die Ohren seiner Bulldogge und philosophiert über gute und schlechte Bordelle. Hinterhof-Puffs, in denen der Zuhälter seine Prostituierte drangsaliert, funktionieren nicht mehr, glaubt er. „Wir müssen den Frauen was bieten, sonst gehen die woanders hin.“

Damit sich seine Mieterinnen wohl fühlen, arbeitet Jürgen 16 Stunden am Tag. Er hat einen Frühstücksraum eingerichtet, in dem frische Semmeln, Nutella und Käse stehen. Ein Solarium gekauft und vier Waschmaschinen angeschafft.

Macht ein Freier Stress, kommt der Chef kurz aus dem Büro

Einmal in der Woche lässt er einen Nagelstylisten kommen. Die Betten zimmert Jürgen selbst („sonst brechen die nach einem Jahr auseinander“), und jeder Frau stellt er einen Fernseher ins Zimmer.

Der Eindruck, dass Jürgen ein Rotlicht-Samariter ist, täuscht allerdings. Er ist Geschäftsmann. Mehr vermietete Zimmer bedeuten mehr Geld in Jürgens Tasche. Zur Zeit arbeiten 25 Prostituierte im Caesars. Zwar klagt der Freudenhausbetreiber über die Finanzmarktkrise, aber sein Lächeln verrät: Das Bordellbusiness rollt.

Der Erfolg des Caesars liegt auch daran, dass sich die Freier nicht beobachtet fühlen. Der einzige Mann, der offen im Caesars arbeitet, ist Mario, der 72-jährige Kellner, der mit seinem roten Jacket und der Fliege derart diskret auftritt, dass die meisten ihn kaum wahrnehmen. Jürgen verzichtet auf einen Türsteher. Macht ein Freier Stress, kommt der Chef kurz aus seinem Büro. Das wirkt. Wenn Jürgen auf einen zugeht, hat man das Gefühl, gleich von einem Panzer überrollt zu werden. So einen will man nicht ärgern.

Es ist spät geworden. Das Caesars füllt sich. In der Bar tanzen die Ladys an den Stangen. In einer Ecke sitzt Alicia auf einem Barhocker und baumelt mit den Füßen. „Ich bin diejenige, wo man erniedrigen darf“, sagt sie. Alicias Spezialität ist der Schmerz. Sie ist Hard-Core-Sklavin.

Alicias Folterkammer befindet sich im dritten Stock am hintersten Ende des Ganges. Der Raum ist schwarz. An der Wand hängen Ruten, Peitschen und andere Schlaginstrumente. Daneben steht eine Streckbank, in einer Ecke ein Thron, in der anderen ein elektrischer Stuhl, den Jürgen extra bauen ließ.

Bis vor einem halben Jahr hat Alicia als Köchin gearbeitet, doch das wurde ihr zu stressig. Heute verdient die 26-Jährige hundert Euro in einer halben Stunde mit Sado-Maso. „Stockschläge, Nadelungen, Folter – die normalen Dinge halt.“ Alicia sagt, dass sie Schmerzen genießt. Sie sagt, dass Einläufe ihre Spezialität sind und dass sie auch nicht erklären kann, warum es ihr Spaß macht, wenn die Freier sie verprügeln.

Doch sie sagt auch, dass manche Verletzungen bleiben. Und dann spricht sie über ihre sechsjährige Tochter, die nicht weiß, was ihre Mama in der Nacht macht und die das auch nie erfahren soll. Aber das Thema ist Alicia irgendwie auch zu persönlich, sie will jetzt lieber übers Auspeitschen reden.

Viele Mädels aus dem Caesars reagieren wie Alicia, wenn es um ihr Leben außerhalb des Rotlichts geht: Sie werden schweigsam. Die gleichen Frauen, die fremde Männer jeden Tag in ihre Intimsphäre eindringen lassen, blocken ab, wenn man sie nach ihren Träumen, Wünschen und Familien fragt.

Eine Frau betet in den Pausen, eine andere lernt Jura

Nur wenige reden: Eine spart Geld, um auszuwandern und irgendwo neu anzufangen. Eine andere betet in ihren Pausen für ihre Söhne, die zu Hause in Rumänien leben und glauben, dass ihre Mutter in einer Pizzeria kellnert. Und wieder eine andere finanziert mit der Prostitution ihr Jurastudium. Diese Frauen wollen nicht, dass ihre Namen in der Zeitung stehen. Sie haben Angst, dass Freunde, Familie oder die Nachbarn sie erkennen. Denn obwohl die Damen aus dem Caesars hart arbeiten, krankenversichert sind und am Ende des Jahres eine Steuererklärung abgeben, bleibt der Beruf der Prostituierte in der so genannten Gesellschaft geächtet.

Auch Nicky antwortet auf die Frage, wie ihre Mutter findet, dass sie im Caesars jobbt nur mit den Worten: „Kein Kommentar.“ Das Thema ist ihr zu privat.

Sie findet ohnehin den Typen spannender, den sie gerade bedient hat. Der hat zu ihr gesagt, dass er mit ihr schlafen möchte. Das regt Nicky auf. „Poppen, blasen, rammeln, ficken, das alles, ja bitte – aber schlafen, das kann er zu Hause.“

tkw

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