„Wir wollen hier nicht weg“
ATTACHING/FREISING - "Die Chance, dass wir sie noch verhindern, ist größer.“ An diesem Wochenende protestieren Tausende gegen das Großprojekt dritte Startbahn und andere Bauvorhaben – wie Einwohner von Attaching Flugzeuge über ihrem Dorf verhindern wollen.
Franz Spitzenberger kämpft. Dafür, dass er im Sommer seine Terrassentür öffnen kann. Gegen Lärm und Schmutz, gegen 4000Meter grauen Asphalt. Franz Spitzenberger kämpft gegen die dritte Startbahn, die genau neben sein Dorf Attaching gebaut werden soll. Im Moment hat er allerdings mehr mit dem Wind zu kämpfen.
Er steht auf einem Aussichtshügel neben der nördlichen Startbahn des Münchner Flughafens und hält ein Plakat hoch: „Keine dritte Startbahn – Aktionsbündnis Aufge- MUCkt“. Ein heftiger Wind knickt das Protestbanner immer wieder um. Hinter ihm heben die Flugzeuge ab, eine Boeing 737, ein Airbus A 300. Fast im Minutentakt. Momentan starten und landen in den Spitzenzeiten 90 Flugzeuge pro Stunde, auf zwei Startbahnen verteilt. Die Flughafen München GmbH (FMG) will die Zahl auf 120 steigern – und dazu braucht sie die dritte Startbahn. Spitzenberger ist aber überzeugt, dass man das auch ohne schaffen könne: „Gatwick hat auch 34 Millionen Passagiere pro Jahr – mit einer einzigen Startbahn.“ Der Münchner Flughafen fertigt jährlich rund 35 Millionen ab.
Es riecht nach Kerosin
Der Himmel über Attaching ist durchkreuzt von den Dunstspuren der Passagierflugzeuge. Es riecht nach Kerosin. Spitzenberger breitet auf dem Boden seines Wohnzimmers einen großen Bauplan auf dem Boden aus, rutscht auf den Knien seiner Lederhose umher und erklärt die Zeichnung. Die dritte Startbahn soll nördlich des Flughafens entstehen. Genau neben Attaching.
Die startenden Flieger würden in etwa 80 Meter Höhe über das Dorf mit rund 1000 Einwohnern hinwegfliegen. „Wenn die Startbahn kommt, dann blicken wir direkt in die Mündung der Kanone“, sagt Spitzenberger und lächelt. Er lächelt oft, aber mit dem Thema ist es dem 55-jährigen Krankenkassenangestellten ernst. Er ist Sprecher der Bürgerinitiative Attaching, die mit 60 anderen Bis im „Aktionsbündnis aufgeMUCkt“ gegen die dritte Startbahn protestiert. Ein leises Rauschen dringt durch die Terrassentür. Ein Flugzeug startet, nachMallorca vielleicht, es ist Ferienzeit. Dass sich die Spitzenbergers am Sonntagabend in ihrem Garten nicht mehr unterhalten können, damit haben sie sich inzwischen abgefunden. Dann ist der Fluglärm nämlich besonders schlimm und schluckt jedesWort. „Vielleicht heben da mehr Geschäftsreisende ab“, meint Katharina Spitzenberger. Bisher ist das nur sonntags so – aber es ist wie eine Vorahnung auf das, was kommen könnte.
20 000 Euro haben sie bereits für Schallschutzmaßnahmen bezahlt, alles aus eigener Tasche. Spitzenberger schließt die Terrassentür. „Verstehen Sie: Wir sind ja nicht gegen den Flughafen. Unsere Tochter hat einen Freund aus Madrid, die beiden fliegen mehrmals jährlich nach Spanien.“ Er denkt nach. „Wir sind aber gegen 170 000 Starts und Landungen mehr im Jahr.“
„Material zum Widerstand“
Spitzenberger holt eine Schachtel mit seinem „Material zum Widerstand“ hervor, Aufkleber, Plakate, Anstecker, Autofahnen. Wie die, die bei der Europameisterschaft an vielen Autofenstern hingen. Nur eben nicht in Schwarz- Rot-Gold, sondern mit der Aufschrift „Keine dritte Startbahn“. Er breitet die Artikel am Boden aus, nimmt eine Postkarte in die Hand. „Grüße aus Attaching“ steht darauf, ein Passagierflugzeug ist per Fotomontage direkt über den Attachinger Maibaum hineinkopiert. „Uns ist natürlich klar, dass wir mit Aufklebern keine dritte Startbahn verhindern können“, sagt er. Aber das sei ja nur ein Teil des Protests. Außerdem: „Wenn der Widerstand jetzt bei der dritten Startbahn zusammenbricht, dann kommt bei der vierten keiner mehr auf.“ Edgar Engert, Pressesprecher des Flughafens, bemüht sich, ein bisschen Verständnis für die Startbahngegner zu zeigen. „Natürlich ist der Protest ein legitimes Recht in einer Demokratie“, sagt er. „Die vertreten ihre Interessen, wir die unseren. Wir können die Bedenken nachvollziehen und sind ja auch im Dialog mit den Anwohnern.“
Der Dialog, das ist ein Nachbarschaftsbeirat, der unter den Flughafengegnern aber umstritten ist. „Der Beirat hat keine Beschlusskraft“, sagt Christian Magerl, Landtagsabgeordneter der Grünen und Gegner der dritten Startbahn. „Die Bürgerinitiativen sind nach kurzer Zeit wieder ausgetreten, weil es mehr oder weniger für die Katz’ war.“ Erwin Huber, Aufsichtsratschef, will die Fronten nicht ganz so verhärtet sehen. „Selbstverständlich ist uns bewusst, dass die dritte Start- und Landebahn für die Menschen im Flughafenumland nicht nur mehr Arbeitsplätze, sondern auch mehr Lärm und Verkehr bedeutet“, sagt Huber der AZ. „Es ist jetzt Aufgabe des Planfeststellungsverfahrens, für einen gerechten Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zu sorgen.“
In Freising, nur vier Kilometer von Attaching entfernt, steht der Sonntag im Zeichen des stummen Protests. Am Ende der Woche versammeln sich die Anwohner zu einem gemeinsamen Schweigemarsch durch den Ort. Mit einem großen Banner „Lichterzeichen – zwei Bahnen reichen“. Manchmal kommen nur hundert, manchmal kommen tausende. Seit November 2006 veranstalten die „Christen zur Bewahrung der Schöpfung“ den Marsch.
„Das Dorf gehört doch zu unserem Leben“
Spitzenberger hat sich noch keine Gedanken darüber gemacht, was passieren würde, wenn die Startbahn tatsächlich kommt. „Die Chance, dass wir sie noch verhindern, ist größer“, sagt er. Und was, wenn doch? „Wir wollen hier nicht weg“, sagt seine Frau Katharina. „Das Dorf gehört doch zu unserem Leben.“ Diesen Samstag demonstriert „aufge- MUCkt“ zusammen mit anderen „Heimatbewahrern“ am Marienplatz. Spitzenberger wird mit dabei sein. Wird weiter kämpfen gegen 4000 Meter Asphalt.
Kasanobu Serdarov