Wie in einem Horrorfilm: Das droht, wenn der Bergwald stirbt

Chiemgau - Solche Massen an Schnee hatte der Chiemgau lange nicht gesehen: In den ersten Wochen im Januar 2019 war Ausnahmezustand im Landkreis Traunstein. Die Bundesstraße B305 zwischen Ruhpolding und Reit im Winkl musste gar gesperrt werden. Denn nicht nur die Schneemassen auf der Straße, sondern eine Lawine blockierte die Durchfahrt.
Ein Auslöser der Lawine war der kaputte Bergwald weit oberhalb der Bundesstraße im Drei-Seen-Gebiet, erklärt Joachim Keßler, Leiter der Staatsforsten in Ruhpolding. "Der Wald war schon so malad, dass etwas ins Rutschen gekommen ist", sagt der Förster im Gespräch mit der AZ. Mühsam werde dieser Bereich nun aufgeforstet und auch einen Wall habe man dort gebaut.
Bergwald im Chiemgau geht es nicht gut: Die Fichte ist und hat ein Problem
"Das war nur eine kleine Stelle - mit großem Schaden." Das Problem bestehe aber über eine weit größere Front. Nun seien die Staatsforsten dabei, den Wald zügig zu verjüngen.
Dem Bergwald geht es nicht gut. Das liegt unter anderem an der Fichte. "Die war so etwas wie der Brotbaum unter den Bäumen, weil sie so schnell wächst und gut verwendbar ist", sagt Keßler. Aber sie leidet stark unter der Trockenheit. "Die Vegetationszeit wird länger durch den Klimawandel."
Trotz hoher Niederschlagsmengen: Selbst im Chiemgau ist es zu trocken
Dadurch brauchen die Bäume mehr Wasser. Obwohl der Chiemgau mit die höchsten Niederschlagsmengen in ganz Deutschland hat, gebe es auch hier mehr und längere Trockenzeiten. "Im September und im Oktober hatten wir sieben Wochen ohne jeglichen Niederschlag", sagt Keßler.

Für mehr als 25 Grad seien die Wälder dauerhaft nicht ausgelegt. "Das stresst unsere Wälder, wenn das öfter vorkommt." Die Natur könne das nicht mehr ausgleichen.
Borkenkäfer macht dem Bergewald im Chiemgau zu schaffen
Hinzu komme der Borkenkäfer, der gerne Fichten befällt. Der Schädling frisst sich unter die Rinde und brütet dort, daher helfe es nichts, von außen ein Gift zu spritzen, sagt Keßler, der selbst kein Fan von Chemie im Wald ist.
Noch sei die Situation im Chiemgau nicht so wie beispielsweise im Bayerischen Wald oder auf der Alpensüdseite, wo teilweise schon ganze Wälder zerstört sind. Aber die Staatsforsten tun auch viel dafür. In Kleinstarbeit schneiden seine Mitarbeiter befallene Bäume heraus. "Wir laufen mehr oder weniger den ganzen Wald ab und suchen den Borkenkäfer." In vielerorts unwegsamem Gelände, was es nicht leichter macht.
Ein Konflikt: Einerseits wolle man keine neuen Wege, weil man in die Natur eingreift. Auf der anderen Seite könne sich der Borkenkäfer so mitunter stärker ausbreiten, weil man nicht so leicht zum Befall hinkomme.
Während private Waldbesitzer nach den Vorgaben des Bayerischen Waldgesetzes nur "sachgemäß" ihren Wald bewirtschaften müssen, haben kommunale und staatliche Waldbesitzer die Pflicht, das sogar "vorbildlich" zu tun, erklärt Wolfgang Madl, Leiter der Unteren Forstbehörde am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Traunstein.
Wie macht man den Wald wieder fit?
Seine Behörde kontrolliert die Einhaltung der waldgesetzlichen Vorschriften, berät aber auch rund 25.000 private Waldbesitzer kostenfrei - "mit dem Gemeinwohl als Ziel".
Es gebe auch Förderprogramme, um den Bergwald zu erhalten und in einen klimatoleranten Wald umzubauen.
Alle drei Jahre kontrolliert das AELF daher den Zustand der Waldvegetation im Rahmen des sogenannten Vegetationsgutachtens. Denn: "Große Teile des Bergwaldes sind nach gesetzlicher Kategorie Schutzwald." Es gehe dabei auch um Leib und Leben, etwa wenn sich eine Mure löst, sagt Madl. Oder eben eine Lawine wie im Drei-Seen-Gebiet.
Ein Schmankerl für Rehe
Nur mögen Tanne, Ahorn und Buche, die wichtig für die Verjüngung und Durchmischung des Bergwalds sind, auch die Rehe gern. Der Verbiss verhindert, dass die Pflanzen groß werden. "Bis zu einer Höhe von circa 1,20 Meter schauen wir uns die Bäumchen an", sagt Madl. Die Abschussplanung der Unteren Jagdbehörde basiert dann auf den Ergebnissen des AELF.

Naturschützer für Abschuss
Ausgerechnet der Bund Naturschutz (BN) spricht sich für den Abschuss von Tieren aus. Das mag erst einmal verwundern. Ralf Straußberger, Experte für Wald des BN, kann die Position erklären: "Das Wald-Ökosystem muss in den Vordergrund rücken. Die Jagd muss auch so ausgerichtet werden, dass der Wald wachsen kann." Explizit lobt Straußberger den Bereich des AELF Traunstein und die Staatsforsten Ruhpolding. "Das ist in vielen Gebieten nicht der Fall", sagt Straußberger.
Es fehlt das Gleichgewicht
Bei der Schutzwaldsanierung nehme man viel Geld in die Hand, aber eigentlich sei die Schonzeitaufhebung noch zusätzlich nötig. "Damit vor allem die Gams sich nicht in den Bereichen aufhält, wo man mit einem riesigen Aufwand frisch angepflanzt hat", sagt Straußberger. Es gehe dabei auch um einen Vergrämungseffekt, damit die Gämse sich an andere Hänge orientieren.
Der gesetzliche Grundsatz "Wald vor Wild" habe sich nicht so ganz durchgesetzt. "In den Staatsforsten in Ruhpolding läuft das schon sehr gut", sagt der BN-Experte. Das Fleisch kann man direkt bei den Staatsforsten in Ruhpolding sogar kaufen.
Der Teufel steckt in der Umsetzung
Aber es gebe noch oft die Regelung, dass in einer Hegegemeinschaft nur so und so viele Hirsche in einer Trophäenkategorie geschossen werden dürfen. "Aber wenn ein Waldbesitzer dann zufällig 20 Hirsche in einer Trophäenkategorie in seinem Wald stehen hat und die seinen Wald auffressen, dann darf er sie nicht schießen. Da ist vieles noch zu verkopft", findet Straußberger.
Die dreijährigen Berichte zur Waldvegetation kennt Straußberger in- und auswendig, zumindest wirkt es so, wenn man mit ihm spricht: "Da heißt es dann jedes Mal, dass es zu viel Verbiss gibt. Alle drei Jahre gibt es das gleiche Ergebnis - ohne Verbesserung. Hier muss man handeln!" Etwa indem der Abschuss erhöht werde.
"Der Bergwald ist die Lebensversicherung für die Bewohner im Alpenraum, aber auch im Voralpenraum", warnt Straußberger. Denn der Bergwald würde auch den Hochwasserabfluss verzögern, was bis Passau spürbar sei.