"Wie aus heiterem Himmel": Warum ein kleines Unternehmen aus Bayern vor dem Aus steht

Wegen einer Neubewertung durch die Rentenversicherung soll der Lichtung Verlag aus Bayern 40.000 Euro nachzahlen. Das könnte das Ende sein.
von  Natascha Probst
Auf der Buchmesse noch groß gefeiert: "Kafkas Reise durch die bucklige Welt" von Bernhard Setzwein ist im niederbayerischen Lichtung Verlag erschienen.
Auf der Buchmesse noch groß gefeiert: "Kafkas Reise durch die bucklige Welt" von Bernhard Setzwein ist im niederbayerischen Lichtung Verlag erschienen. © Cover: Lichtung Verlag

Viechtach - Knapp 40.000 Euro soll der Lichtung Verlag aus dem Bayerischen Wald an die Deutsche Rentenversicherung nachzahlen – wegen einer Neubewertung des Arbeitsverhältnisses der zwei Geschäftsführerinnen. "Wie aus heiterem Himmel" sei diese Nachricht Anfang des Jahres gekommen, sagt Eva Bauernfeind, eine der Frauen an der Spitze des Kleinverlags im niederbayerischen Viechtach.

Seit der Unternehmensgründung führt die Rentenversicherung alle vier Jahren eine Prüfung vor Ort in Viechtach durch. Dabei habe es nie Beanstandungen gegeben, sagt Bauernfeind. Oder auch den Hinweis, dass etwas nicht stimme. Anders war es nun bei der aktuellen Prüfung für den Zeitraum 2019 bis 2022: Die Geschäftsführerinnen müssen einheitlich als Angestellte beschäftigt sein, hieß es von der Rentenversicherung. Bisher waren sie auf geringfügiger Basis als Geschäftsführerinnen angestellt, Projektarbeiten für das Magazin oder die Bücher rechneten sie freiberuflich auf Honorarbasis ab. "So haben wir das die vergangenen 30 Jahre gemacht", sagt Bauernfeind. "Das Konstrukt hatten wir schon immer."

Auch bei ihrem Vorgänger, dem Gründer des Verlags, Hubert Ettl. Er ist empört: "Die Rentenversicherung nimmt eine Neubewertung einer Situation vor, die sie 30 Jahre akzeptiert hat, und verlangt dann noch rückwirkend eine für uns horrende Summe." Das sei ungeheuerlich.

Rentenversicherung wirft dem Lichtung Verlag aus Bayern "Scheinselbstständigkeit" vor

Warum also die Neubewertung für den Zeitraum zwischen 2019 und 2022? Bauernfeind denkt, dass die Rentenversicherung einfach einen neuen Fokus gesetzt hat. Von anderen Kultureinrichtungen habe sie schon Ähnliches gehört, nur wolle hier niemand an die Öffentlichkeit gehen. Die Deutsche Rentenversicherung will auf Anfrage der AZ aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskünfte zu dem konkreten Fall geben. Sie schickt nur Informationen "für eine allgemeine Einordnung".

Die Rentenversicherung gehe sogenannter Scheinselbstständigkeit nach. Wenn der vermeintlich selbstständige Teil der Tätigkeit nur aufgrund der abhängigen Beschäftigung ausgeübt werde, liege eine solche vor, heißt es in der Information. Ob dies auf den Lichtung Verlag zutrifft, bleibt unbeantwortet. Genauso wie die Frage, wieso es plötzlich zu dieser Neubewertung kam oder ob weitere Kulturbetriebe betroffen sein könnten.

Selbstständigkeit soll zurückgedrängt werden, sagt ein Fachanwalt für Sozialrecht

Mehr Antworten hat Albrecht Philipp. So etwas passiere tatsächlich relativ häufig, sagt der Fachanwalt für Sozialrecht in München. Er führt diese Fälle auf die verschärfte Rechtssprechung des Bundessozialgerichts zurück. Dieses sei von dem Anliegen gesteuert, Selbstständigkeit weitgehend zurückzudrängen, meint er. Redaktionen und Kulturbetriebe hätten seither viel kleinere Spielräume, was freiberufliche Tätigkeiten betrifft.

Meist käme es zu einer Neubewertung, wenn die Rentenversicherung darauf stoße, dass Freiberufler die Arbeitsmittel des Arbeitgebers, bei dem sie auch angestellt seien, nutzten, am selben Ort tätig seien, oder sich zeitlich beispielsweise nach Veröffentlichungsterminen richten würden. Dann seien sie "eingegliedert".

"Eine riesige Welle der Solidarität", sagt die Geschäftsführerin

Ende März noch feierte der kleine Verlag aus dem Bayerischen Wald sein neues Buch "Kafkas Reise durch die bucklige Welt" groß auf der Leipziger Buchmesse – Kristina Pöschl, eine der beiden Geschäftsführerinnen, musste ihre letzten Buchreserven herausrücken – nun ist man mit dem Packen von Rettungspaketen beschäftigt. Denn der Verlag wollte nicht einfach aufgeben. Mithilfe der Überraschungspakete soll Geld gesammelt werden: Lyrik, Prosa und Bildbände sind im Angebot.

"Eine riesige Welle der Solidarität" würde der Verlag gerade erfahren, sagt Bauernfeind. Man sei noch nicht über den Berg. "Aber es hilft, den Berg anzugehen." Im Verlag hätten sie einen zusätzlichen Helfer, der die Rettungspakete schnüre, denn sie kämen mit dem Packen nicht mehr hinterher. Künstler böten Benefizkonzerte an, Spenden gingen ein.

Innerhalb eines Monats hieß es, sei die Nachzahlung fällig. Nun konnte der Verlag eine Ratenzahlung über zwei Jahre hinweg aushandeln. Auch Widerspruch gegen den Bescheid wurde eingelegt. "Wir wollen auf jeden Fall weitermachen", sagt Bauernfeind. Aktuell gebe es Gespräche, wie man das umsetzen könne. Denn künftig dürfen die beiden Geschäftsführerinnen ihre Projektarbeit ja nicht mehr freiberuflich erledigen. "Da müssen wir uns erst neu sortieren." 


Hinweis: Bestellen kann man die Rettungs-Buchpakete unter 09942/2711, der Mail-Adresse lichtung-verlag@t-online.de oder auf der Website des Verlags: lichtung-verlag.de

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