Wetterexperte Dominik Jung über Unwetter in Bayern: "Die Wucht hat zugenommen"

AZ-Interview mit Dominik Jung: Der 43-jährige Meteorologe und Klimaexperte macht Prognosen für wetter.net.

AZ: Herr Jung, wieso spielt das Wetter in Süddeutschland aktuell verrückt?
DOMINIK JUNG: Über uns in Süddeutschland liegt derzeit genau eine Luftmassengrenze zwischen Warm- und Kaltluftmassen, die aufeinanderstoßen. Auf der einen Seite haben wir warme bis heiße Luftmasse über Osteuropa und auf der anderen sehr kühle Luftmasse, die von Nord-Westen nach Deutschland reindrückt. Diese Kühle hat Teile Deutschlands schon überflutet. Entlang der Linie bilden sich die heftigen Gewitter.
Wie würden Sie das Unwetter einstufen: als normales Sommergewitter oder doch besonders extrem?
Gewitter im Sommer sind normal, auch heftige. Mein Eindruck ist aber, dass die Intensität der Gewitter seit 2016, 2017 zugenommen hat. Die Wucht und die Auswirkungen der Unwetter sind heftiger geworden: mehr Hagel, mehr Starkregen, mehr Sturzfluten.
Wie erklären Sie sich das?
Es könnte schon sein, dass das mit der Klimaerwärmung zusammenhängt. Der physikalische Vorgang ist so: Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kalte. Aufgrund der Klimaerwärmung und des globalen Temperaturanstiegs sind die Luftmassen weltweit in der Höhe wärmer geworden. Wenn mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre aufgenommen werden kann, regnet es mehr. Das hängt zusammen. Ob die Klimaerwärmung mit den aktuellen Unwettern zusammenhängt, kann man aber erst in etwa 30 Jahren sagen. Es deutet jedoch einiges darauf hin.
In Schwaben gab es in der Nacht zu gestern eine Windhose, in Ebersberg und anderen Landkreisen Hagel. Wie kommt es zu den lokalen Wetterphänomenen?
Einerseits kann man sagen: Dort, wo die beschriebenen schwül-warmen Luftmassen auf die kalten treffen, können sich Gewitter bilden. Für diese Regionen können wir warnen. Wo genau sich dann die Gewitter bilden, können lokale Begebenheiten entscheiden. Eine Anhebung in Mittelgebirgen zum Beispiel - irgendetwas, das die Gewitter auslöst, sodass Luftmassen nach oben schießen und sich Gewittertürme bilden. Das ist sehr kleinteilig und lokal - manchmal auch einfach Zufall.
Wieso entstehen Windhosen wie in Schwaben?
Für Windhosen, oder auch Tornado genannt, muss eine Scherung innerhalb eines starken Gewitters vorliegen. Windscherung heißt, der Wind ändert mit der Höhe Geschwindigkeit und Richtung, dadurch kann eine Rotation entstehen. Dann gibt es Trichterwolken. Wenn dieser Trichter den Boden erreicht, dann erst spricht man von einem Tornado.
Und Hagel?
Hagel ist im Grunde nichts anderes als gefrorener Regen. Das heißt: Regentropfen fallen aus der Gewitterwolke heraus, werden dann aber von starken Aufwinden erfasst, die innerhalb einer Gewitterwolke entstehen können, und in große Höhen transportiert - bis zu elf Kilometer nach oben. Dort kommen die Tropfen in den Gefrierbereich um null Grad, gefrieren zu Hagelkörnern, fallen wieder runter, und können dann wieder von Aufwinden erfasst werden. Das geht so lange hin und her, bis irgendwann die Schwerkraft siegt und der Hagel herunterfällt. Wenn die Aufwinde stark waren, kann das Hagelkorn sehr oft hoch und runter fliegen, bis es auf die Erde knallt. Durch die Wasserablagerungen wachsen sie stark.
Wie groß kann so ein Korn werden?
Das kann auch mal zehn Zentimeter Durchmesser erreichen - das ist dann ein Geschoss. Durch die Geschwindigkeit und die Größe kann so ein Hagelkorn gefährlich werden, so wurden schon Autoscheiben eingeschlagen. Wenn so eines jemanden auf den Kopf fällt, kann es einen Menschen töten. Und in der Landwirtschaft sind die wie ein Rasierapparat.
Unwetter in Bayern: "In den nächsten Tagen geht es so weiter"
Wie kann man sich schützen?
Bei einer Unwetterwarnung gilt es zu Hause zu bleiben. Wenn es beginnt zu hageln, sollte man sich von Fenstern fernhalten.
Eine Prognose: Wann gibt es wieder Biergartenwetter?
Ab und zu zeigt sich ja auch immer wieder die Sonne. Man sollte einfach den gesunden Menschenverstand einsetzen und beim Grillen oder im Biergarten in den Himmel schauen: wenn Gewitterwolken aufziehen, reingehen. Ansonsten geht es in den nächsten Tagen so weiter. Heute Nachmittag und nachts wieder schwere Unwetter in Südbayern, am Freitag das gleiche Spiel. Am Samstag kann man kurz Luft holen bei 24 Grad in München, am Sonntag viel Sonnenschein bei bis zu 28 Grad, am Abend Schauer.